Der Aufsichtsratschef von ZF Friedrichshafen, Giorgio Behr, ist mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. "Ich möchte einer Verjüngung des Aufsichtsrats nicht im Wege stehen sowie anderen möglichen Veränderungen", sagte Behr, der zehn Jahre den Aufsichtsrat geführt hat. Das "Handelsblatt" vermutet, dass er keinen Strategiewechsel mittragen will. Hintergrund seien Versuche des Eigentümers, der Zeppelin-Stiftung, ins Geschäft einzugreifen. Die Ausschüttungen seien kürzlich von 50 auf 160 Millionen Euro erhöht worden. Zudem habe die Stiftung die Übernahme des Bremsenherstellers Wabco verhindert. Das Unternehmen hat den Rücktritt von Behr gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters bestätigt, aber keine Gründe angegeben.
"Herr Professor Behr hat die Eigentümer am Montag über seine Entscheidung informiert. Wir sind auf diese Veränderung vorbereitet. Der Aufsichtsrat wird entsprechend seiner Satzung unverzüglich aus seiner Mitte einen neuen Vorsitzenden wählen. Auch die Nachbesetzung des freien Aufsichtsratssitzes wird bereits im Dezember erfolgen", sagte Friedrichhafens Oberbürgermeister Andreas Brand, der zugleich Vorsitzender des Stiftungsrats der Zeppelin-Stiftung ist.
Behr ist 70 Jahre alt. Der Jurist begann seine Laufbahn als Handelsschullehrer, machte sich einen Namen als Sanierer und ist heute selbst Unternehmer. Er ist Gründer und Eigentümer des Schweizer Mischkonzerns Behr Bircher Cellpack BBC AG mit 1200 Angestellten und einem Jahresumsatz von 300 Millionen Schweizer Franken. Seit 2008 war er Vorsitzender des Aufsichtsrats von ZF. In seiner Amtszeit fielen wegweisende Entscheidungen wie die Übernahme von TRW, der Umsatz des Gesamtkonzerns hat sich unter anderem deshalb seit 2008 fast vervierfacht.
Entlassung von Entwicklungschef Naunheimer
Wie der "Südkurier" berichtet, hat das Unternehmen seinen Entwicklungschef Harald Naunheimer fristlos entlassen. Ein Nachfolger soll bereits gefunden sein. Über die Gründe ist noch nichts bekannt. Naunheimer stand seit 2009 an der Spitze der Abteilung Zentrale Forschung und Entwicklung. Die Trennung kommt überraschend. Wie die Zeitung schreibt, wird Naunheimer von Mitarbeiter als "integer" beschrieben, zudem hatte er sich in einem Interview erst kürzlich sehr positiv über ZF geäußert. Gegenüber der Nachrichtenagentur DPA bestätigte ein Unternehmenssprecher die Entlassung. Der promovierte Maschinenbauingenieur war seit 2001 bei ZF, sein Schwerpunkt waren Getriebe. Der Rücktritt von Naunheimer hat Informationen der "Schwäbischen Zeitung" zufolge nichts mit dem Führungsstreit zu tun.
Solide Finanzen
ZF Friedrichshafen ist nach der Übernahme von TRW im Jahr 2015, die den Konzern knapp zehn Milliarden Euro gekostet hat, nach Bosch und Continental der drittgrößte Autozulieferer der Welt. Das Unternehmen hat weltweit mehr als 137.000 Mitarbeiter. Der Umsatz lag im ersten Halbjahr bei 18,3 Milliarden Euro, das waren 2,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch die EBIT-Marge fiel mit 6,6 Prozent um 0,3 Prozentpunkte höher aus. Durch die Übernahme von TRW lasten Schulden in Höhe von 7,6 Milliarden Euro auf ZF. Finanzchef Konstantin Sauer rechnet für das Gesamtjahr mit einem Umsatz von mehr als 36 Milliarden Euro und einer bereinigten EBIT-Marge von über sechs Prozent.
Es knirscht zwischen OB und Vorstandschef
Eigentlich steht das Unternehmen also gut da. Die Finanzen sind in Ordnung und die Integration von ZF ist über die Bühne gegangen, ohne dass größere Probleme bekannt geworden wären. Doch hinter den Kulissen rumort es seit Monaten, wie mehrere Medien berichten. Zwischen den Friedrichshafener Oberbürgermeister Andreas Brand und ZF-Chef Stefan Sommer über die Strategie des Unternehmens. Während Sommer das Unternehmen zu einem globalen Zulieferer umbauen will, der neben den Getrieben auch Produkte in den Bereichen aktive und passive Sicherheit, Elektromobilität und autonomes Fahren anbietet, setzt der Oberbürgermeister auf Sicherheit und verlangt eine höhere Dividende.
Mit Behrs Rücktritt verliert Vorstandschef Sommer der "Schwäbischen Zeitung" zufolge einen Verbündeten im Streit mit Brand. Behr hatte sich mehrfach für weitere Zukäufe ausgesprochen, was der Aufsichtsrat allerdings ablehnte. Zudem kritisierte er die von Brand verlangte höhere Dividende. Auch über Sommers Rücktritt ist bereits spekuliert worden. Das Tischtuch zwischen Brand und Sommer ist dem Bericht zufolge "seit Wochen zerschnitten".
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