Nächstes Jahr muss Günther Schuh liefern. Für 15.990 Euro soll dann der rein elektrische Stadtflitzer e.Go Life auf den Markt kommen, den der umtriebige Aachener Professor als CEO mit seiner e.Go Mobile AG entwickelt hat und in Aachen produzieren lässt.
Dass der Preis des 2+2-Sitzers mit 130 Kilometer Reichweiter derart überschaubar bleibt, hat viel mit den niedrigen Entwicklungskosten zu tun. Dank des bei ihm tief verankerten Industrie-4.0-Gedankens kam Schuhs Team mit 40 Millionen Euro Entwicklungskosten aus. Schuh schätzt: Hätte ein großer OEM das gleiche Produkt entwickelt, wären eher 300 bis 500 Millionen Euro dafür ausgegeben worden. Ein kleiner OEM oder ein Startup ohne gutes Netzwerk hätte die Entwicklung wohl 150 bis 250 Millionen Euro gekostet, erläutert Schuh der Automobilwoche. Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen hatte er schon im Streetscooter-Projekt gesammelt, als er mit seinem Professorenkollegen Achim Kampker den gleichnamigen E-Lieferwagen auf die Räder stellt entwickelte. Die deutsche Post kaufte schlielich das Fahrzeug und das dahinter stehende Unternehmen.
Wie kommt nun beim e.Go Life die Einsparung von größenordnungsmäßig 90 Prozent gegenüber der Entwicklung bei einem großen OEM zustande? Etwa die Hälfte geht der Einschätzung des Maschinenbauers und Wirtschaftsingenieurs auf die kurzen Wege und den Pragmatismus der RWTH Aachen Campus GmbH zurück, deren Geschäftsführung er angehört. Der biete ein Ökosystem mit „mehr als 300 immatrikulierten Technologieunternehmen“.
Auf Sicht entwickeln und flexibel bleiben
Die andere Hälfte rechnet Schuh dem Industrie 4.0-Ansatz zu. Zum einen geht es dabei um Software, wie er erläutert: „Wir haben dreizehn verschiedene Applikationssoftwaresysteme über eine PLM-Suite integriert, von der Spezifikationssoftware über verschiedene CAD-Systeme bis zur BOM-Ausleitung und den Einkaufstools“, wobei er einräumt, dass bei der BOM (Bill of Materials), also der Stückliste, noch nicht auf Anhieb fehlerfrei gewesen sei.
Eine zentrale Rolle spielten aber veränderte Vorgehensweisen, speziell der „hochiterative, Industrie-4.0-gestützte Entwicklungsprozess“. Was hochwissenschaftlich klingt, ist letztlich die Übertragung des Scrum-Prinzips aus der Software-Entwicklung auf das Fahrzeug: Auf Sicht entwickeln, statt zu Beginn des Prozesses die Ergebnisse schon im Detail festlegen und in Lastenheften festhalten zu wollen. Schuh erläutert: „Man konzentriert sich wie die Software-Entwickler etappenweise nur auf einige wenige Hauptentwicklungsziele, baut dazu jeweils schnell (Teil-)Prototypen.“ Erst danach werden die Anforderungen für den nächsten Entwicklungsschritt definiert. „So können zahllose Abstraktions- und Interpretationsfehler vermieden werden“, hebt der Professor hervor. Um das zu erreichen, habe man auf 80 Prozent der sonst schon in der Frühphase üblichen Spezifikationen verzichtet.
Die gute Nachricht für die klassischen Automobilhersteller: Im Grunde seien alle bei e.Go verwendeten Industrie-4.0-Ansätze auch auf deren Entwicklungen übertragbar. Allerdings empfiehlt Schuh den Herstellern nicht den Weg der Kosteneinsparung: „Ich würde als OEM die Entwicklungskosten gar nicht reduzieren, sondern viel mehr Autos entwickeln.“
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