Die Zeiten, in denen sich nur die Nachwuchskräfte bei den Unternehmen beworben haben sind vorbei. Derzeit müssen sich auch die Unternehmen bei den Schulabsolventen bewerben, wenn sie die besten Kandidaten bekommen wollen. Denn viele Azubi-Bewerber können sich aktuell ihren Betrieb aussuchen. Aber zahlreiche Unternehmen reagieren überhaupt nicht auf Bewerbungen oder vergraulen die Kandidaten mit wenig durchdachten Anforderungen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Azubi-Recruiting Trends“. Dafür hat der Ausbildungsspezialist u-form Testsysteme jüngst 2635 Azubi-Bewerber und Auszubildende, 903 Ausbildungsverantwortliche und 150 Eltern befragt. Wissenschaftlich begleitet hat das Projekt Christoph Beck, der Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Human Resources Management an der Hochschule Koblenz ist.
Zwar finden auch heute noch manche Bewerber keinen Ausbildungsplatz. Doch die Studie fördert den Autoren zufolge zahlreiche Belege dafür zutage, dass sich die duale Ausbildung in einen Nachfragemarkt verwandelt hat. So schreiben heute 46,4 Prozent der Azubi-Bewerber weniger als sechs Bewerbungen, über 60 Prozent erhalten mehr als ein Ausbildungsplatzangebot, wie dieser Kandidat, der jetzt in der Automobilbranche lernt: „Ich habe mich nur bei drei Unternehmen beworben und wurde bei zweien davon angenommen.“
Langer Vorlauf lässt Bewerber wanken
Die in den einzelnen Phasen des Bewerbungsprozesses gezeigte Verbindlichkeit der Kandidaten wird geringer. Aktuell erscheinen über 23 Prozent der eingeladenen Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch. Jeder zehnte Azubi tritt die Ausbildung nicht an, obwohl er einen Vertrag unterschrieben hat. Dazu trägt der Studie zufolge der lange Vorlauf bei den Bewerbungen bei: 54,8 Prozent der Betriebe starten die Bewerbung um ihre Ausbildungsplätze neun Monate vor Ausbildungsbeginn oder noch früher. Angesichts von Alternativen, die sich danach noch auftun und des langen Vorlaufs kommt der ein oder andere da offenbar ins Wanken.
Antwort auf jede Bewerbung sollte Standard sein
Die Studie beschäftigte sich auch mit der Frage: Passen Bewerberkommunikation und Auswahlprozesse noch zur aktuellen Lage? Zunächst fällt auf, dass für einen sehr großen Teil der Azubi-Bewerber ihre Bewerbungen gefühlt in einem Schwarzen Loch verschwinden: 45,4 Prozent erhalten keine Rückmeldungen. Das ist nicht nur unhöflich, sondern selbst dann schlecht fürs Image eines Betriebs, wenn er diese Bewerber nicht in Erwägung zieht. „Viele Unternehmen haben nicht abgesagt und bei anderen erlebte ich lange Wartezeiten. Ich kam mir trotz guter Noten richtig dumm vor“, berichtete etwa ein Kandidat, der sich in der Automobilbranche beworben hat.
Ausschreibungen nicht mit Anforderungen überfrachten
Betriebe sollten in einem Nachfragemarkt zudem besonders behutsam mit Forderungen umgehen, die sie an die Bewerber stellen, betonen die Autoren der Studie. Doch das Gegenteil sei der Fall: Ausbildungsunternehmen nehmen ihre eigenen Anforderungsprofile nicht ganz ernst. Bei 61,4 Prozent der befragten Betriebe müssen „nicht alle“ Anforderungen erfüllt sein, damit sie eine Bewerbung berücksichtigen.
Doch viele angehende Azubis orientieren sich sehr stark an den in den Profilen beschriebenen Kriterien: 19,1 Prozent bewerben sich nur, wenn sie alle, 29,7 Prozent wenn sie vier von fünf Anforderungen erfüllen. Das bedeute, dass einem großen Teil der Ausbildungsbetriebe derzeit sehr viele potenzielle Bewerber verloren gehen. Durchs Raster fallen dabei nicht die „falschen Bewerber“, sondern solche, die genauer hinschauen. „Betriebe sollten sich daher die Frage stellen, ob klassische Anforderungsprofile noch zeitgemäß sind – und sich von Azubi-Wunschbildern wie dem ‚Fachinformatiker mit guten Deutschnoten‘ verabschieden“, sagt Felicia Ullrich, Geschäftsführerin von u-form Testsysteme und Initiatorin der Studie.
Punkten mit Praktika oder Probearbeiten
Punkten könnten Ausbildungsbetriebe vor allem mit Gelegenheiten zum persönlichen Kontakt. 74,5 Prozent der Azubis finden Praktika „wichtig“ oder „sehr wichtig“, bei Probearbeiten sind es 71,1 Prozent. Dagegen setzen nur 50,8 Prozent der Ausbildungsbetriebe Praktika „sehr häufig“ oder „häufig“ ein, Probearbeiten bieten nur 30,8 Prozent der Ausbildungsbetriebe an. Überzeugt wird also offline, worauf die Tatsache hinweist, dass „die gute Atmosphäre“ im Bewerbungsgespräch für 53,8 Prozent der Azubis den „letzten Kick“ für die Wahl des Ausbildungsbetriebs gibt. Online informieren sich die Azubis vor allem per Suchmaschine (59,4 Prozent nutzen sie „häufig“ oder „sehr häufig”) oder Karrierewebsite (54,8 Prozent). Weit abgeschlagen sind wie in den Vorjahren Social-Media-Kanäle wie Snapchat oder Youtube (22,7 Prozent).
Smartphone am Ausbildungsplatz? Ist den meisten egal.
„Die Hypothese, man könne die ‚Generation Snapchat' vor allem auf Snapchat für die duale Ausbildung gewinnen, stellt also eine allzu einfache Ableitung dar”, sagt Christoph Beck. Als ebenso falsch erweist sich in der Studie die weit verbreitete Annahme, Azubis und ihre Smartphones seien untrennbar miteinander verbunden. 61,9 Prozent der Azubis betrachten es nicht als Argument für einen Ausbildungsbetrieb, wenn sie ihr privates Smartphone während der Arbeit benutzen dürfen, und 71,2 Prozent geben Ausbildungsbetrieben keine Pluspunkte, die ihnen ein mobiles Endgerät spendieren. Aus der Vorläuferstudie von 2016 ist bekannt, dass Azubi-Bewerber in dieser Hinsicht sinnvolle Zusatzausbildungen bevorzugen.
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