Haben die Autohersteller in den vergangenen Jahren zu wenig unternommen, um den Stickoxid-Ausstoß von Diesel-Pkw zu senken? Dies legt zumindest eine neue Studie der Forschungsorganisation ICCT nahe, die der Automobilwoche vorliegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Stickoxid-Emissionen von Diesel-Fahrzeugen der neuesten Euro-6-Abgasnorm im Durchschnitt doppelt so hoch liegen wie bei Diesel-Lkw oder -Bussen der gleichen Abgas-Kategorie.
"Schon alleine der direkte Vergleich der Fahrzeugemissionen je Kilometer ist erstaunlich genug", sagt Rachel Muncrief, ICCT-Forscherin und Autorin der Studie. "Bezogen auf den Kraftstoffverbrauch, unter Berücksichtigung der höheren Lastanforderungen für Lkw und Busse, liegen die Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw sogar um einen Faktor 10 höher als die vergleichbaren Werte für Nutzfahrzeuge."
30 Fahrzeuge überprüft
Für die Zusammenstellung werteten die ICCT-Forscher die Messdaten von 24 Bussen und Lkw der Schadstoffnorm Euro VI des Technisches Forschungszentrums Finnland (VTT) sowie des deutschen Kraftfahrtbundesamts (KBA) aus.
Im Durchschnitt lagen die NOx-Emissionen der getesteten Nutzfahrzeuge bei 210 Milligramm pro Kilometer. Messungen des Kraftfahrtbundesamtes in den vergangenen Monaten an 30 ausgewählten Fahrzeugen verschiedener Hersteller haben ergeben, dass bei Euro-6-Diesel-Pkw unter realen Fahrbedingungen der NOx-Ausstoß derzeit im Durchschnitt etwa 500 mg/km beträgt.
Eine Auswertung speziell für Daimler zeigt, dass etwa der Mercedes-Benz Actros 1845 Bluetec nur 83,1 mg NOx pro Kilometer ausstößt, während etwa eine S-Klasse S 350 Bluetec 3,0 l zwischen 162,7 und 440,5 mg/km liegt. Für andere Hersteller liege eine Einzelbetrachtung nicht vor, so ICCT. Bei den Pkw lagen etwa der Renault Kadjar 1,5 l mit über 1500 mg/km oder der Opel Zafira mit knapp 1000 mg/km deutlich über dem Durchschnitt.
Unterschiedliche Rahmenbedingungen
Gründe für die deutlich niedrigeren Abgasemissionen bei Lkw und Bussen sehen die ICCT-Forscher vor allem in den unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Bei Pkw beschränken sich die offiziellen Tests bislang auf Labormessungen sorgfältig vorbereiteter Prototypen. "Hingegen sind für die Ermittlung der Emissionen von Lkw und Bussen schon seit 2013 mobile Messgeräte vorgeschrieben, so dass zufällig ausgewählte Fahrzeuge unter realen Fahrbedingungen vermessen werden können", sagt Peter Mock, Geschäftsführer von ICCT in Europa.
Zwar sollen RDE-Tests, die den Schadstoffausstoß im realen Verkehr anhand portabler Messgeräte (PEMS) überprüfen, von September 2017 an Teil der verschärften Zulassungstests in der Europäischen Union werden. Obwohl die ICCT-Forscher dadurch eine deutliche Verbesserung des Emissionsniveaus bei Diesel-Pkw erwarten, sehen sie weiteren Handlungsbedarf.
"Stand heute sollen auch für Fahrzeugtests im Rahmen des neuen RDE-Verfahrens vom Hersteller ausgewählte Prototypen verwendet werden", kritisiert Mock. "Besser wäre es, stattdessen normale Serienfahrzeuge aus Kundenhand zu vermessen und stichprobenartige Nachkontrollen einzuführen."
EU-Kommission will Verschärfung
Eine entsprechende Änderung will die EU-Kommission offenbar gegen den Widerstand einiger Fahrzeughersteller und EU-Mitgliedsstaaten, in einer Arbeitsgruppensitzung am 17. Januar in Brüssel ins Gespräch bringen.
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