München. Die Horrorvorstellung, dass ein Supercomputer die Menschheit auslöscht, ist so alt wie der Computer selbst. Es ist die Angst, dass die negativen Facetten der Science Fiction real werden könnten. Hollywood hat diese Szenarien erschaffen und in Cinemascope auf die Leinwand geworfen. Supercomputer sind aber keine Idee der Drehbuchschreiber mehr, sie werden gebaut und eingesetzt. Auch in der Autoindustrie.
Kern dieser Systeme ist die künstliche Intelligenz, mit der man Computer dazu befähigen will, auf komplexe Szenarien und Folgesituationen menschengleich reagieren zu können. Mindestens. Im Idealfall soll der Computer besser als sein Schöpfer sein. Fehlerfrei.
Kritik an dieser Vorstellung kommt keineswegs nur von konservativen Geistern, die der Technik generell mit großer Skepsis begegnen. Sie kommt auch vom Posterboy der Tech-Szene: Tesla-Gründer Elon Musk. Der Pionier der E-Mobilität und des autonomen Fahrens fürchtet eine drohende Übermacht der Computer. Künstliche Intelligenz zu erschaffen sei ebenso gefährlich wie „den Teufel herbeizuzitieren“.
Musk hat gerade erfahren, was zu viel Macht in den Händen eines Algorithmus bewirken kann. In einem Tesla, der vom Autopiloten gesteuert wurde, starb der Fahrer beim Unfall mit einem Lkw.
Teslas Autopilot ist noch in der Beta-Phase und von künstlicher Intelligenz weit entfernt. Ob sie den Unfall verhindert hätte, ist zwar nicht sicher. Sicher ist aber, dass Autohersteller und Zulieferer große Hoffnungen in diese Technologie setzen. BMW, Daimler und Continental glauben sogar, dass ohne künstliche Intelligenz das autonome Fahren nicht realisierbar sei. Darum stecken die Unternehmen Milliarden in die Entwicklung. Toyota investiert in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde Dollar in sein Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz im Silicon Valley. BMW und Volkswagen sind mit Firmen wie Google, Microsoft, Airbus und SAP Gesellschafter des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz (DFKI).
„Für das Auto der Zukunft heißt künstliche Intelligenz, dass auf das ‚vernetzte‘ Auto das ‚kognitive‘ Auto folgt“, sagt Ralf Guido Herrtwich, der bei Daimler die Konzernforschung und Vorentwicklung für Fahrerassistenz- und Fahrwerksysteme leitet. Das menschliche Gehirn und die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie der Mensch das Auto fährt, sind Dreh- und Angelpunkt dieser Forschung. „Wir wollen die Möglichkeiten des menschlichen Fahrens elektronisch abbilden, aber ohne dabei die menschlichen Fehler zu duplizieren“, sagt Kurt Lehmann, Leiter der Zukunftsentwicklung bei Continental.
Der Mensch als Vorbild
Um das Auto menschlicher zu machen, schlägt Frank Kirchner, Robotik-Professor an der Universität Bremen und Leiter des Robotics Innovation Center des DFKI, deshalb vor, sich im Feld der Sensorik noch mehr beim Menschen zu bedienen: „Bei allen Fehlern, die der Mensch macht, hat er Maßnahmen und Mechanismen entwickelt, um sich in komplexen Situationen für ihn richtig zu verhalten.
Darum schlage ich schwenkbare Sensoren oder Kameras vor, die ähnlich wie die Augen einen Gegenstand von mehreren Seiten betrachten.“ So könne der Mensch Gegenstände klassifizieren, die auf den ersten Blick nicht zuzuordnen sind. „Sensoren, die derzeit in der Autoindustrie verbaut werden, sind starr nach vorn gerichtet. Diese kann man leichter täuschen.“
Künstliche neuronale Netze
Moderne Lernverfahren, auch auf Basis künstlicher neuronaler Netze, sind es, die ganz neue Wege eröffnen. Sie funktionieren ähnlich wie das menschliche Gehirn, nicht mehr wie herkömmliche Computerprogramme. „Die ‚Wenn-dann-Logik‘, die es bislang bei Computerprogrammen gab, gibt es hier nicht mehr, nur noch eine ‚Input-Output-Analyse‘“, erklärt Michael Decker, der das Institut für Technikfolgenabschätzung am KIT in Karlsruhe leitet.
Bei Robotern ohne künstliche Intelligenz kann man die einzelnen Befehle auslesen, die ausgeführt wurden, und somit die einzelnen Handlungsschritte nachvollziehen. „Diese Art der Zuordnung lässt sich bei neuronalen Netzen nicht mehr vornehmen und somit auch nicht nachvollziehen, warum eine bestimmte Aktion ausgeführt wurde“, sagt Decker.
Das bringt Chancen, birgt aber auch Gefahren. Der Internetgigant Google, der in der Erforschung dieser Systeme eine große Rolle spielen will, hat mit der selbst entworfenen neuronalen Netztechnik die eigenen Serveranlagen optimiert. Die Server waren nach einigen Monaten fertig, ein Mensch hätte es in seiner Lebenszeit nicht geschafft.
Derzeit erforschen die Wissenschaftler die künstliche Intelligenz noch auf einer völlig sicherheitsunkritischen Ebene, lassen Computer die komplexen Brettspiele Schach oder Go erlernen und gegen die besten menschlichen Spieler der Welt antreten. Mittlerweile gewinnt meist der Algorithmus.
Kritisch sind selbstlernende Systeme bei Autos
Kritisch wird es, wenn künstliche intelligente Systeme im Straßenverkehr verwendet werden. Vor allem dann, wenn sie selbstlernend vorgehen und antizipieren, wie es die Technik der künstlichen neuronalen Netze verspricht. Daimler sieht derzeit noch davon ab, Autos mit selbstlernenden Systemen auszustatten, die ihre eigenen Algorithmen verändern.
„Das würde uns vor das Problem stellen, dass wann immer ein Fahrzeug einen Fehler zeigt, dieser Fehler für uns kaum noch nachstellbar wird, weil uns der individuelle Kenntnisstand des Fahrzeugs fehlt“, sagt Daimler-Forscher Herrtwich. Was man sich bei Daimler aber vorstellen kann, ist eine Zusammenführung der Erfahrungen aus der Flotte im Backend. „Daraus könnten wir Trainings für alle Fahrzeuge entwickeln und diese zurückspielen, sodass alle Fahrzeuge mit derselben Logikstruktur fahren“, erläutert Herrtwich.
So würde man als Autohersteller nicht riskieren, kaum noch absichern zu können, welches Verhalten die Fahrzeuge anbieten und welches nicht. Auch Contis Leiter der Zukunftsentwicklung, Kurt Lehmann, denkt in diese Richtung: „Zukünftig müssen wir über eine Infrastruktur nachdenken, die dafür sorgt, dass neue Verkehrssituationen Einzug halten in eine vielleicht sogar allgemein zugängliche Datenbank. So lässt sich sicherstellen, dass alle Fahrzeuge richtig handeln.“
Die künstliche Intelligenz befindet sich noch auf dem Sprung vom „Baby zum Kleinkind“, wie der Berliner Investor und Förderer von Roboter-Start-ups Fabian Westerheide kürzlich sagte. „Interessant wird es, wenn sie in die Pubertät kommt.“ Das wird die Welt verändern.