Hamburg. Der Mann ist sichtlich in Eile. Flotten Schrittes durchmisst Ranieri Niccoli die U-förmige Produktionsstraße des Zehnzylinder-Sportwagens Huracán von Lamborghini. Reine Hecktriebler und Allradversionen entstehen hier auf einer Linie, Coupés und Roadster – sowie das auf 250 Exemplare limitierte Sondermodell Avio.
Auch in der Montage des Topmodells Aventador mit zwölf Brennräumen sieht der Produktionschef der legendären VW-Marke aus Italien noch schnell nach dem Rechten. Mit geschultem Blick verfolgt der studierte Luftfahrtingenieur, wie zwei Werker den Heckflügel eines 750 PS starken SV-Zweitürers kräftig zupackend in Position bringen. Auf Handarbeit lege die Kundschaft „allergrößten Wert“, sagt der Topmanager (siehe Interview).
Doch schon hetzt Niccoli zurück in sein Büro. Dort hängen großformatige Pläne mit dem Codenamen „Urus“. Das lateinische Wort für Auerochse, Ur und Stier passt vortrefflich zum kampfbereiten Paarhufer, der seit der Firmengründung 1963 das Lambo-Logo ziert. Und es ist eben vor allem das „Urus“-Projekt, das Niccoli so unter Dampf hält.
Unter dem kurzen Arbeitstitel hatten die Italiener 2012 auf der Messe Auto China in Peking ihre Studie eines 4,99 Meter langen und markentypisch kantigen Geländewagens vorgestellt. So positiv war die Resonanz nicht nur im Reich der Mitte, mit Abstand wichtigster Einzelmarkt des Mutterkonzerns VW, dass Wolfsburg bald grünes Licht für die Serienfertigung nach Sant'Agata sandte. Dort, vor den Toren der altehrwürdigen Universitätsstadt Bologna, bereitet Lamborghini jetzt mit Hochdruck den Anlauf der fünften Baureihe vor.
"Alle Maschinen volle Kraft voraus"
Die Zeit drängt. Der Start of Production ist für 2018 terminiert. Aber schon im Mai kommenden Jahres sollen die neuen Hallen, die Lamborghini an der Via Modena 12 derzeit hochziehen lässt, große Teile des Maschinenparks aufnehmen. Darin werden die 350 neuen Mitarbeiter, die Lamborghini für den Urus benötigt, zunächst viel zu trainieren haben. Immerhin tüftelt Niccolis Team in Kooperation mit den Montage-Experten von Audi-Produktionsvorstand Hubert Waltl an einem komplexen Herstellungskonzept namens „Manifattura Lamborghini“.
Hintergrund: Innerhalb des VW-Konzerns ist die Markengruppe Audi, zu der neben Lamborghini auch das italienische Motoradlabel Ducati gehört, seit jeher besonders aufgeschlossen für innovative Fabrikationsmethoden. Und ohne die wäre der Urus nicht zu realisieren. Zum Vergleich: 2015 hatte Lamborghini rund 1300 Mitarbeiter unter Vertrag und baute 3300 Autos. Mit dem Urus soll die Belegschaft auf 1500 Beschäftigte steigen – bei einer Gesamtproduktion von bis zu 7000 Fahrzeugen quer über alle Modelllinien.
Ob es die Traditionalisten nun goutieren oder nicht – der Automatisierungsgrad bei Lamborghini nimmt mit dem Urus zu. Überdies wird ob der Verdopplung des Volumens, das die Stier-Marke endlich in Schlagdistanz zum Erzrivalen Ferrari bringt, ein minutiös getakteter Zulieferungsverbund wichtiger denn je.
Schlüsselelemente der Urus-Plattform will Lamborghini aus dem slowakischen VW-Presswerk in Bratislava beziehen. In der Fabrik am Fuße der Kleinen Karpaten entstehen unter anderem die Rohkarossen der SUVs VW Touareg, Audi Q7 und Bentley Bentayga.
Bald wird die Marke "Farbe bekennen"
Viele Anbauteile aus Aluminium werden die Italiener für ihren Urus bei VW in Zwickau ordern. Wer die Lackierung des Viertürers übernimmt, soll demnächst entschieden werden. Beim Huracán, von dem werktäglich elf Stück entstehen, verlässt sich Lamborghini auf die Beschichtungskompetenz der großen Markenschwester Audi. Beim gerade einmal halb so oft aufgelegten Aventador ist ein kleiner externer Dienstleister mit der Farbgebung betraut.
Wie nicht anders zu erwarten, soll auch der Urus überlegen motorisiert werden. Ein „S-SUV“ komme da auf die PS-Branche zu, sagt Ranieri Niccoli, mithin ein Super-Sports Utility Vehicle. Neben einer Achtzylinder-Maschine mit Biturboaufladung arbeitet Lamborghini für den Urus auch an einem Hybridantrieb. Zehn- oder gar Zwölfzylinderaggregate hingegen werden „Lambo number five“ nicht auf Touren bringen.
Mit vier oder fünf Sitzen soll der Urus zu kaufen sein – und mit allerlei Sonderausstattungen aus dem bunten Spektrum der „Ad personam“ genannten hauseigenen Individualisierungspalette.
Auf „clevere Weise“, wie Herstellungsleiter Niccoli betont, will er mit dem Urus in den als „Industrie 4.0“ bezeichneten digitalen Wandel in der Produktion einsteigen. Sobald „Manifattura Lamborghini“ verlässlich funktioniert, dürfte Niccoli schrittweise auch den Bau von Huracán und Aventador, jeweils als Coupé und Roadster, umstellen lassen. Der Mann wird wohl in Eile bleiben.