Bei britischen Herstellern und Tier-1-Zulieferern schätzt Atradius die Gefahr von Zahlungsausfällen und -verzögerungen nach jüngster Analyse als insgesamt "durchschnittlich" ein. 2018 lautete das Rating noch "gut". Bei Tier-2-Zulieferern sowie bei Automobilhändlern müssen Lieferanten derzeit gar von einem "erhöhten" Forderungsrisiko ausgehen. 2018 hatte Atradius bei beiden Untersektoren noch ein "mittelmäßiges" Risiko gesehen.
Neben den generellen Veränderungen der Branche durch den strukturellen Wandel basiert die derzeitige Bewertung auf den anhaltenden Brexit-Unsicherheiten. Die Konsumstimmung im Vereinigten Königreich ist verhalten, was sich letztlich auch auf die Produktions- und Verkaufszahlen von Automobilen niederschlägt. Allein die Zahl der neu registrierten Pkw in Großbritannien sank laut des Europäische Automobilherstellerverbands ACEA im ersten Halbjahr um 6,8 Prozent.
Italien
Auch in Italiens Automobilbranche hat sich der wirtschaftliche Ausblick verschlechtert und die Gefahr von Forderungsausfällen erheblich erhöht. Von Geschäften mit italienischen Herstellern geht laut Atradius derzeit ein "mittelmäßiges" Forderungsrisiko aus, herabgestuft von "gut" im Jahr 2018. Im italienischen Zulieferersektor (Tier 1 und 2) ist die Bewertung des Kreditversicherers mit "erhöhtes Risiko" aktuell sogar um zwei Stufen schlechter als noch im Vorjahr (2018: "gut"). Unverändert gegenüber dem Vorjahr ist die Situation bei den italienischen Automobilhändlern ("mittelmäßig").
Ein Hintergrund der neuen Einschätzung sind die jüngsten Kostensenkungsprogramme von italienischen Autoherstellern. Diese dürften den Preisdruck auf die Lieferanten zunehmend erhöhen. Der Tier-1-Bereich in Italien gilt zwar als technisch fortschrittlich, die Anbieter verfügen jedoch über verhältnismäßig wenig Eigenkapital und sind in hohem Maße von externer Finanzierung abhängig. Sollte sich die Lage im italienischen Finanzsektor weiter verschärfen, könnte das zum Problem für die Lieferanten werden. Im Tier-2-Bereich werden weitere Anbieter von technisch einfachen Komponenten infolge der sich wandelnden Nachfrage am Markt voraussichtlich künftig nicht mehr bestehen, nachdem es hier bereits in den Jahren 2008 bis 2012 zu Unternehmensaufgaben kam.
Frankreich
Nachdem die Zahlungserfahrungen in der französischen Automobilbranche in den vergangenen zwei Jahren gut waren, trübt sich die Prognose auch hier ein: Insbesondere bei Geschäften mit kleineren Zulieferern ist in den kommenden zwölf Monaten mit zunehmenden Zahlungsverzögerungen zu rechnen.
In Frankreich sind die Absatzzahlen im ersten Halbjahr 2019 ebenfalls zurückgegangen. Aus Sicht von Atradius dürften dies vor allem kleinere Tier-1-Zulieferer und Tier-2-Unternehmen zu spüren bekommen, deren Umsatzlage sich generell verschlechtert und die dann unter den schrumpfenden Margen besonders zu leiden haben.
Die Sparmaßnahmen, die französische Hersteller eingeführt haben, um in neue Technologien zu investieren, könnten den Preisdruck auf einige Subunternehmer in den kommenden zwei bis drei Jahren ebenfalls erhöhen. Das Forderungsrisiko bei Geschäften mit französischen Herstellern und großen Tier-1-Firmen dürfte hingegen erst einmal moderat bleiben, unter anderem deshalb, weil drohende US-Zölle die französischen Marken nur geringfügig beeinträchtigen.
Polen
In Polen ansässige Automobilhersteller und -zulieferer sind in hohem Maße von der Auslandsnachfrage abhängig, allein 2018 generierte die Branche 55 Prozent ihres Umsatzes durch Exporte. Die Produktion der Unternehmen aus diesem Sektor ging 2018 um 4,4 Prozent gegenüber 2017 zurück. Die durchschnittliche Zahlungsdauer in der polnischen Automobilbranche beträgt derzeit 115 Tage. Atradius bewertet das Zahlungsrisiko bei Herstellern in Polen aktuell als "mittelmäßig" und bei Tier-1- und Tier-2-Lieferanten sowie bei Automobilhändlern als "erhöht".
Unsicherheiten bestehen besonders bei Tier-2-Unternehmen. Aufgrund des hohen Wettbewerbs verfügen sie nur über wenig Verhandlungsspielraum bei ihren Geschäften. Das Gleiche gilt für Autoteile- und Reifenhändler. Die Zunahme von Elektroautos dürfte hier ebenfalls das Forderungsrisiko steigern, da nur wenige von ihnen über die finanziellen Mittel verfügen, Innovationen zu entwickeln, die sich für die neuen Autos verwenden lassen. Ein ungeordneter Brexit und US-Zölle würden die polnische Automobilwirtschaft aufgrund ihrer Exportabhängigkeit ebenfalls hart treffen.