Was das Stuttgarter Urteil bedeutet

Fahrverbote für ältere Dieselautos sind in Stuttgart weiter möglich. Das Land Baden-Württemberg scheiterte am Freitag vor dem Verwaltungsgericht mit dem Versuch, durch Nachrüstungen vieler älterer Motoren solche Verbote zu verhindern. Die Richter verurteilten das Land zur Überarbeitung des neuen Luftreinhalteplans für Stuttgart, weil dieser die Luft nicht schnellstmöglich verbessere. Dazu sei das Land aber verpflichtet. Der bisherige Plan sei folglich unzureichend.

Gesundheitsschutz sei höher zu bewerten als Interessen der Diesel-Fahrer, argumentierte das Verwaltungsgericht. Zwar enthält der vorgelegte Plan Fahrverbote, diese seien aber nicht umfassend genug. Das Land dürfe sich bei der Luftreinhaltung nicht darauf verlassen, dass die Autoindustrie handelt, hieß es. Fahrverbote seien das wirksamste Mittel, um die seit Jahren hohe Belastung mit giftigem Stickstoffdioxid zu reduzieren.

Dabei müsse das Land auch nicht auf eine Lösung des Bundes in Form einer einheitlichen Blauen Plakette warten, sagte Richter Wolfgang Kern. Schon heute sei ein Verkehrsverbot mit den Mitteln der Straßenverkehrsordnung durchsetzbar. Ein Zusatzzeichen, dass eine bestimmte Gruppe Fahrzeuge von der Einfahrt nach Stuttgart ausschließe, könne das Land selbst gestalten. Ob und wann es tatsächlich zu Fahrverboten für Dieselmodelle kommt und wie diese aussehen könnten, ist aber offen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) war vor Gericht gezogen, um ein generelles Fahrverbot für Dieselautos in Stuttgart zu erreichen. Die Landesregierung baute dagegen auf von der Industrie versprochene Nachrüstungen älterer Dieselmotoren, um unpopuläre Fahrverbote zu verhindern.

Das Gericht machte jedoch deutlich, dass es diese für unzureichend hält. So habe das Land selbst in einem Gutachten dargelegt, dass die Maßnahme die Stickoxidbelastung bei maximaler Wirksamkeit der Nachrüstungen bis zum Jahr 2020 nur um neun Prozent reduzieren könne. Auch alle andere Maßnahmen wie etwa ein auf bestimmte Straßen und zeitlich begrenztes Fahrverbot hält das Gericht nicht für ausreichend.

DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch zeigte sich nach dem Urteil zufrieden. "Es kann nicht angehen, dass die Diesel-Industrie der Landesregierung die Hand führt und der Gesundheitsschutz der Bürger vernachlässigt wird", sagte er mit Blick auf die von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bevorzugte Nachrüstlösung zur Vermeidung von Fahrverboten.

Resch forderte von der Autoindustrie, endlich damit aufzuhören, "betrügerische Abschaltvorrichtungen" in die Autos einzubauen und auf eine ehrliche Abgasreinigung zu setzen. Das Urteil sei auch eine Botschaft nach Berlin vor dem Diesel-Gipfel am 2. August. Dort müssten die Standards für eine Nachrüstung bei den Diesel-Fahrzeugen erhöht werden.

Das Land will ein weiteres Vorgehen nun prüfen und dann entscheiden, ob es in Berufung geht oder gleich vor das Bundesverwaltungsgericht. "Die Materie ist so komplex, dass wir die schriftliche Begründung abwarten wollen", sagte Edgar Neumann, der Sprecher des Landesverkehrsministeriums. Noch sei nicht klar, ob es zum 1.1.2018 wirklich zu Fahrverboten in Stuttgart komme. Man habe bei dem Thema eine Verantwortung für viele Aspekte. Landesverkehrsminister Winfried Hermann sagte: „Die Landesregierung verfolgt seit Jahren die Strategie, die Bevölkerung vor Schadstoffen zu schützen. Gesundheitsschutz durch Maßnahmen zur Luftreinhaltung war und ist das Ziel der Landesregierung." Weitere Schritte zur Luftreinhaltung seien notwendig. Dazu gehöre vor allem eine rasche, wirksame, nachprüfbare und von der Autoindustrie zu finanzierende Nachrüstung der Dieselfahrzeuge. Das Urteil habe zugleich deutlich gemacht, dass eine Umweltzone mit Blauer Plakette das wirksamste Mittel für die Luftreinhaltung sei. "Dieses Mittel hat bisher der Bundesverkehrsminister den Ländern und Kommunen verweigert."

Aus Sicht von Experten ist mit dem Urteil eine eindeutige Richtung vorgegeben. "Das Urteil hat gezeigt, dass Fahrverbote zum 1.1.2018 nicht mehr vermeidbar sind, wenn die Stickoxidbelastung in den Städten deutlich reduziert werden soll", sagte Stefan Randak, Leiter des Automobilbereichs bei der Strategieberatung Atreus, der Automobilwoche. Die von den Herstellern angebotene Nachrüstlösung bei älteren Euro-5-Diesel sei zu wenig. "Wer eine ordentliche Schulbildung hat, weiß, dass man mit einer Software nur steuern, aber physikalisch-chemisch-technische Prozesse der Abgasreinigung nicht großartig beeinflussen kann." Deshalb müsse es beim Diesel-Gipfel um tiefgreifendere Maßnahmen gehen. "Es ist ja bekannt, dass eine technische Nachrüstung mit einem SCR-Katalysator für rund 1500 Euro einen Euro-5-Diesel auf Euro-6-Standard heben könnte", so Randak. Bei der Überprüfung der Wirksamkeit komme unabhängigen Organisationen wie Tüv oder Dekra eine entscheidende Rolle zu.

Fahrverbote könnten zudem nur eine kurzfristige Lösung sein. Vielmehr sei endlich einganzheitliches verkehrspolitisches Konzept notwendig, in dem beispielsweise auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos verbindlich geregelt sei, so Randak.

Das Urteil könnte auch die Debatte um Fahrverbote in anderen Großstädten wie München oder Berlin beeinflussen. Beim Berliner Diesel-Gipfel beraten in der kommenden Woche Vertreter von Bund, Ländern und Autoindustrie über konkrete Maßnahmen gegen zu hohe Schadstoffwerte durch den Autoverkehr. (dpa/ger/mer)

Lesen Sie auch:

Erfasst Kartellverdacht auch Zulieferer?: Bosch soll an Absprachen beteiligt gewesen sein

DUH gegen VW: Umwelthilfe hat kaum Chancen auf Erfolg vor Gericht

Abgasskandal: Audi-Experten sollen schon 2013 gewarnt haben

EXKLUSIV: Wissmann erwartet keinen Absatzrückgang durch Kartellaffäre