Volkswagen-Chef Matthias Müller wirft den früheren VW-Managern Martin Winterkorn und Ferdinand Piech vor, die Zukunft des Automobilgeschäfts verkannt zu haben. "Die beiden haben sich aus heutiger Sicht zu wenig damit beschäftigt, wie die Welt in 10 oder 20 Jahren aussehen könnte. Volkswagen hatte ja nie eine echte Strategie-Abteilung", sagte Müller der "Rheinischen Post". "Volkswagen war ein hierarchisch organisierter und obrigkeitshöriger Konzern, und viele Entscheidungen wurden ganz oben getroffen - speziell Produktentscheidungen."
"Volkswagen war ein obrigkeitshöriger Konzern"
In Sachen Konzernpersonal will Müller einen neuen Weg einschlagen: "Wir wollen Volkswagen jünger, weiblicher und internationaler machen. Und weniger hierarchiegläubig. Aber so ein Wandel braucht Zeit." Eine Situation sei ihm besonders im Gedächtnis geblieben: "Als ich das erste Mal in die Kantine zum Mittagessen gegangen bin, ist einigen Mitarbeitern beinahe die Gabel im Mund stecken geblieben. Mittlerweile behandeln sie mich in der Regel wie jeden anderen Kollegen."
Zum Dieselskandal und Abgasbetrug, der den Konzern viel Ansehen und Geld kostete, sagte der VW-Chef: "Was Volkswagen angeht, kann ich mich bei unseren Kunden nur entschuldigen. Wir stellen das Unternehmen deswegen auch auf den Kopf, damit so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist."
Angesichts drohender Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge in deutschen Innenstädten wünscht sich Müller eine verbindliche Lösung auf Bundesebene. "Die Verunsicherung ist ja groß. Das spüren wir auch an den Diesel-Bestellungen, die merklich zurückgegangen sind", sagte der VW-Chef der "Rheinischen Post". Er erwarte daher vor allem, "dass es auf Bundesebene eine Lösung gibt, die für unsere Kunden Verbindlichkeit herstellt". Bislang liegt die Zuständigkeit für Fahrverbote in der Verantwortung der Kommunen. Müller sagte weiter: "Fahrverbote sehen wir generell als falschen Schritt an. Und bitte nicht vergessen: Das Auto ist ja nur ein Teil des Problems."
Bei einem "Diesel-Gipfel" am 2. August wollen der Bund und mehrere betroffene Länder mit der Autobranche Nachrüstungen für Diesel der Emissionsklassen Euro 5 und 6 vereinbaren, um Schadstoff-Emissionen zu reduzieren. Zwischen 2008 und 2016 ist die Zahl der Diesel-Pkw hierzulande um mehr als 44 Prozent gestiegen. Auch 2016 war die Luft in deutschen Städten nach Messungen des Umweltbundesamts (UBA) zu stark mit Stickstoffdioxid belastet - von dem Diesel-Autos sehr viel ausstoßen. Laut UBA reizt Stickstoffdioxid die Atemwege, langfristig beeinträchtigt es die Lungenfunktion und führt zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeitigen Todesfällen. Besonders gefährlich ist es demnach für empfindliche Menschen wie Kinder.
VW hat seit den Enthüllungen über Abgasmanipulationen bei Dieselautos bereits mehr als 20 Milliarden Euro für Strafen und Entschädigungen in den USA verbuchen müssen. Und obwohl die größten finanziellen Streitfragen in den USA geklärt sind, laufen auch dort strafrechtliche Ermittlungen gegen VW-Offizielle. Müller selbst meidet nach eigener Aussage die Vereinigten Staaten nicht. "Warum sollte ich? Das ist ein schönes Land und ein für uns sehr wichtiger Markt", sagte er der Zeitung. "Gegen mich liegt ja nichts vor. Ich werde deshalb auch im Herbst wieder in die USA fliegen, allerdings nicht ins Silicon Valley, sondern an die Ostküste, um mich dort mit Politikern zu treffen."
Keine Stellung nehmen wollte Müller zu Berichten, wonach deutsche Autobauer jahrelang illegale Absprachen zu Lasten von Verbrauchern und Zulieferern getroffen haben sollen. Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler sollen sich in einem gemeinsamen Kartell über Technik, Kosten und Zulieferer abgesprochen haben, wie der "Spiegel" meldete. Müller sagte dazu: "Zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen auf Grundlage der "Spiegel"-Berichterstattung äußern wir uns nicht." (dpa/os)
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