Verhandlungs-Rituale im Wandel

Berlin.Wichtige Männer sitzen an langen Tischen, rauchen, trinken und diskutieren laut. In den frühen Morgenstunden, nach langem Verhandlungsmarathon, schütteln sie sich dann öffentlich die Hände - so stellte man sich den Tarifpoker jahrzehntelang vor.

An diesem Mittwoch (9. März) treffen sich IG Metall und Gesamtmetall zur ersten regionalen Verhandlung für die Metall- und Elektroindustrie in Niedersachsen. Das Treffen bildet den Auftakt für ein langes, bundesweites Ringen um die nächste Lohnerhöhung für rund 3,8 Millionen Menschen.

Bereits bevor sich die Parteien zusammensetzen, gibt es Rituale, die sich immer wiederholen, sagt der Verhandlungsexperte Matthias Schranner: "Sie versuchen, in der Öffentlichkeit einen Anker für ihre Position zu setzen." Von der Seite der Gewerkschaft heißt es dann für gewöhnlich, die wirtschaftliche Lage sei gut, eine Gehaltserhöhung für die Binnenkonjunktur wichtig. "Arbeitgeber möchten natürlich am liebsten eine Nullrunde", sagt der Jurist, der seit 15 Jahren Vertreter beider Seiten berät.

Die Gewerkschaften gehen meist aggressiver in die Verhandlungen als die Arbeitgeber. Das hat laut Schranner einen einfachen Grund. "Die Arbeitgeber haben nie die Öffentlichkeit hinter sich. Deswegen können die Gewerkschaften eher Vorwürfe vorbringen." Die halb-öffentlich geführte Diskussion um die Höhe der Forderung diene zudem der innergewerkschaftlichen Mobilisierung.

Einiges hat sich bei den Verhandlungen im Laufe der Zeit aber geändert, etwa, wer auf den beiden Seiten im Verhandlungsteam sitzt. "Früher waren die Tarifverhandlungen schon eher ein männerdominiertes Ritual", sagt Schranner. Mittlerweile seien die Gruppen weiblicher und jünger geworden. "Dieses ganze Machtding und Auf-die-Schulter-klopfen wird weniger."

Das sieht auch der Leiter der Tarifabteilung der IG Metall, Stefan Schaumburg, so: "Mit Frauen kommt mehr Sachlichkeit in die Verhandlungen." Nicht nur, dass sie keine Tische umwerfen würden - was bei Männern ab und an vorgekommen sei. "Der Umgang untereinander ist sachlicher und normaler geworden", sagt Schaumburg, der in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg in der kommenden Tarifrunde für die IG Metall mit am Tisch sitzt.

Beschäftigte und Arbeitgeber - schlägt sich das auch optisch nieder? Schranner sagt: "Auf beiden Seiten gibt es die Pragmatiker und die Ideologen. Und der ideologische Arbeitgeber kommt eben wirklich im Dreiteiler-Anzug mit Einstecktuch in seiner S-Klasse." Der ideologische Gewerkschaftler hingegen fahre Fahrrad und trage Schlabberpulli. "Und die Pragmatiker tragen beide Anzug ohne Krawatte."

Dies ist eine Einordnung, die der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Michael Stahl, nicht teilt: "Das sind doch überholte Klischees. Ich glaube nicht, dass das noch als Stilmittel genutzt wird." Zigarren zum Beispiel sehe er bei seinen Kollegen eher selten. Und bis zum Abschluss sei auch Alkohol für die Entscheidungsträger tabu, berichten Verhandlungsteilnehmer.

Eine Sache wird von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden aber traditionell gehandhabt: der Griff in die Floskel-Kiste. "Es ist sicher Teil des Rituals, dass beide Seiten ihre Linie verfolgen müssen", sagt Stahl. "Wenn die Gewerkschaft plötzlich auftritt und ganz anders spricht, als man von ihr erwartet, bringt das ja die Fronten durcheinander." Zwar bemühten sich beide Seiten um neue Formulierungen - bestimmte Stereotype gebe es aber immer wieder.

Gewerkschafter Schaumburg sagt: "Ein guter Tarifabschluss scheut das Tageslicht." Ohne nächtlichen Verhandlungsmarathon geht in der Regel keine Verhandlung zu Ende. Ist dies ein reines Showelement? Schaumburg: "Die Nachtschichten werden erwartet, aber es wird heutzutage auch einfach härter verhandelt und gerechnet." Dass es zu schnell zu einer Einigung kam und die Verhandlungsteams deshalb noch Karten spielend in ihren Hotelzimmern auf den Morgen warteten, sei früher schon mal passiert, heute gebe es das nicht mehr.

Zum Schluss treten die Verhandlungsführer müde vor die Presse und geben sich die Hand. "Es ist wichtig, dass beide Seiten ihren Mitgliedern zeigen, dass sie bis zuletzt gekämpft haben", sagt Schaumburg. Manche Tarifrituale bleiben eben doch erhalten. (dpa-AFX/gem)