Detroit. Es ist ein Alptraum für jeden Autofahrer: Der Lebensretter Airbag wird beim Unfall zur tödlichen Splitterbombe. Nach den Pannen des japanischen Zulieferers Takata ist dieses Horrorszenario in den USA und Asien Realität. Fünf Todesopfer und 20 Millionen zurückgerufene Autos sind die bisherige Bilanz. Und welche Wellen das Drama noch schlägt, wollen auch Fachleute nicht abschätzen. «Wir wissen längst nicht alles», sagt Stephen Lind, Chef des US-Branchenanalysten KBB, am Rande der Automesse in Detroit.
In der Kritik steht das Krisenmanagement des Zulieferers. Probleme waren länger bekannt, schon 2013 mussten Millionen Autos in die Werkstatt. Doch inzwischen nahm der Rückruf nie geahnte Ausmaße an, vieles ist noch ungeklärt. Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg sieht einen wachsenden «Eindruck der Verschleppung».
Denn nach der Eskalation im vergangenen Oktober schwieg Takata-Konzernchef Shigehisa Takada wochenlang - ebenso seine rechte Hand, der Schweizer Stefan Stocker. Dieser rückte inzwischen ins zweite Glied des Vorstands zurück, Gründer-Enkel Takada nahm das Tagesgeschäft allein in die Hand. Doch zu einer Anhörung vor dem US-Kongress Anfang Dezember schickte Takata nur einen Vertreter.
Wegen eines drohenden Rekordverlusts verzichtet der Vorstand zwar einige Monate auf Teile seiner Bezüge und strich den Aktionären die Dividende. Aber wie ein offener Brief des Chefs - unter anderem in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» Mitte Dezember - hat das nur Symbolkraft und hilft nicht bei der Aufarbeitung der Baufehler.
Die Autohersteller, die ihren Kunden den Rückruf erklären müssen, beobachten Takatas Krisenmanagement mit Argusaugen. Im Umgang mit ihren Lieferanten könnten sie manche Schrauben fester anziehen.
Die ganze Branche ist durch Fehler von Zulieferern verwundbarer geworden. Sie hat zuletzt immer größere Teile der Wertschöpfung ausgelagert, rund zwei Drittel kommen mittlerweile von externen Lieferanten. Zum Sparen werden identische Bauteile quer durch alle Modellreihen verwendet - so kann schon eine vergleichsweise kleine Panne zu Rückrufen im Millionenbereich führen.
«Wir wissen, dass die Qualität unserer Fahrzeuge stark vom Qualitätsmanagement der Zulieferer abhängig ist», bringt es Daimler-Chef Dieter Zetsche auf den Punkt. Die Hersteller müssen daher mögliche Fehlerquellen im Auge haben und den Zulieferern sehr genau auf die Finger schauen. «Die Lieferantenqualität ist insgesamt ein Thema in der Autobranche», sagt Porsche-Chef Matthias Müller.
US-Analyst Lind erwartet, dass die Autobauer nach dem Takata-Schock gerade die Fehlerkultur ihrer Lieferanten noch genauer durchleuchten. Kernfrage: Wie transparent geben sich die Zulieferer nach Pannen?
Mit der praktizierten Offenheit steht und fällt laut Lind, ob ein Rückruf die Kunden vergrätzt. Daher beordern die Hersteller ihre Autos selbst bei kleinen Mängeln zu «Servicemaßnahmen» in die Werkstätten. Zwar gehen auch diese Wartungen ins Geld - im Vergleich zu einem bleibenden Imageschaden kommt das aber weit günstiger.
Als zweite Gegenmaßnahme könnten die Hersteller Risiken breiter streuen. Laut Autoexperte Dieter Becker vom Beratungsunternehmen KPMG erwartet die Zuliefererbranche als Folge des Takata-Dramas, dass ihre mächtigen Kunden bei zentralen Bauteilen noch stärker auf unterschiedliche Lieferanten setzen.
Doch es gibt längst nur noch ein knappes Dutzend globale Zulieferer - darunter die deutschen Größen Continental, Bosch und ZF sowie deren Wettbewerber wie Magna mit Hauptsitz in Kanada oder Denso aus Japan. Wer internationale Autobauer bedienen will, muss selber groß sein.
Daran hatten bisher auch die Autobauer Interesse, weil hohe Stückzahlen in der Regel geringere Absatzpreise ermöglichen. Nun zeigt sich: Im Trend zur Größe steckt auch großes Risiko. Hilft die Konsolidierung auf Zuliefererseite also uneingeschränkt? «Manchmal habe ich den Eindruck: eher nicht», sagt Porsche-Chef Müller.
Takata ist ein mahnendes Beispiel dafür. Den Japanern fehlt die Kapazität, genug Ersatzteile herzustellen. Einen Rückruf im ganz großen Stil lehnten sie daher ab - und zogen den Zorn der US-Verkehrsaufsicht NHTSA auf sich. Also testet die Nummer zwei der Airbag-Welt, ob auch Bauteile anderer Hersteller als Ersatz taugen.
Der schwedische Marktführer Autoliv will schon Honda beim Austausch unterstützen. Denn die Japaner sind am stärksten vom Takata-Rückruf betroffen. Trotzdem könnte es im schlimmsten Fall Jahre dauern, um alle verdächtigen Airbags auszuwechseln.
Ein Takata-Sprecher sagte am Dienstag, das Unternehmen setze weiter alles daran, mit den Herstellern und Behörden bei der Aufklärung und der Rückruflogistik zusammenzuarbeiten. Zudem sei Takata finanziell solide aufgestellt und könne auf den Rückhalt seiner Kunden zählen: «Wir sind ohne Abstriche in der Lage, mit der Situation umzugehen.» (dpa/gem)