Ob Gammelfleisch-Skandale, der Diesel-Betrug von VW oder schwere Umweltverschmutzung: Bisher können Unternehmen bei Gesetzesverstößen aus ihren Reihen nur rudimentär belangt werden - auch wenn sie stark davon profitieren. Das will die Bundesregierung jetzt ändern: Großen Unternehmen drohen nicht nur deutlich höhere Bußgelder, sie sollen auch stärker für kriminelle Taten ihrer Mitarbeiter geradestehen.
"Die Verantwortung darf nicht länger nur auf Einzelne geschoben werden, wenn aus Unternehmen heraus kriminell gehandelt wird", sagte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) am Dienstag nach dem Beschluss der Bundesregierung. Bei Fällen wie dem Abgasskandal von Volkswagen sei klar: "Hier handeln nicht nur Einzelne, sondern Unternehmen kriminell."
Wie konnte die Justiz in solchen Fällen bisher reagieren?
Immer wieder kamen in der Vergangenheit Angestellte von Großunternehmen wegen Korruption, Betrug oder Umweltverschmutzung vor Gericht. Gegen die Unternehmen selbst aber konnten - neben dem Abschöpfen der illegal erzielten Gewinne - lediglich Geldbußen verhängt werden. Diese sind gesetzlich bei 10 Millionen Euro gedeckelt - was Konzerne mit Milliardenumsatz kaum aufschrecken dürfte. Ein weiteres Problem: Viele Taten im Zusammenhang mit deutschen Unternehmen im Ausland konnten nicht verfolgt werden.
Was ändert sich jetzt?
Künftig müssen Staatsanwaltschaften nicht nur gegen verantwortliche Manager und Beschäftigte ermitteln, sondern stets auch gegen das Unternehmen selbst. Bisher konnten sie das individuell entscheiden. Außerdem soll sich das Bußgeld bei großen Firmen an deren Umsatz orientieren. Konzerne mit einem Jahresumsatz vom mehr als 100 Millionen Euro müssen dann damit rechnen, dass sie bis zu 10 Prozent des Umsatzes abdrücken müssen. Die Bußgelder können so durchaus auf zweistellige Milliardensummen anwachsen. Außerdem werden auch Auslandstaten erfasst, die einem deutschen Unternehmen zugute kommen.
Ist es nicht unfair, wenn Unternehmen für Fehltritte Einzelner büßen müssen?
Oft nützt kriminelles Verhalten dem Arbeitgeber mehr als dem Mitarbeiter, argumentiert das Justizministerium - etwa, wenn jemand Schmiergeld zahlt, um einen Auftrag an Land zu ziehen. Die neuen Regeln sollen grundsätzlich bei Straftaten von Führungspersonen wie Vorständen oder Geschäftsführern gelten. Bei ganz normalen Mitarbeitern kommt es darauf an, ob der Vorgesetzte die Tat nicht durch bessere Aufsicht zumindest wesentlich hätte erschweren können.
Was haben die Geschädigten von der Neuregelung?
Wer von einem Unternehmen betrogen wurde, etwa als Anleger oder Käufer eines falsch ausgezeichneten Produkts, muss bisher selbst eine Entschädigung erstreiten. Künftig soll der Staat den strafbar erzielten Gewinn einziehen und Betroffene entschädigen können. Das macht vor allem dann einen Unterschied, wenn man als Betrogener einen relativ geringen Schaden hat, für den man wohl nicht selbst vor Gericht ziehen würde.
Haben die neuen Sanktionen Auswirkungen auf Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre?
Natürlich belaste jede Sanktion das betroffene Unternehmen, heißt es im Justizministerium - nur so könne sie überhaupt wirksam sein. Damit wirke sie sich aber auch auf den Gewinn aus, so dass Kapitaleigner weniger verdienen. In manchen Fällen könne es auch zu Einschnitten für Mitarbeiter kommen - unter Umständen können Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze verlieren, die gar keinen Einfluss auf die illegalen Machenschaften haben. Solche Wirkungen müssten berücksichtigt werden, wenn das Gericht die Sanktion festlege.
Wie groß ist das Problem mit der Wirtschaftskriminalität überhaupt?
Das Bundeskriminalamt geht für das Jahr 2018 von einem bekannten Schaden von rund 3,36 Milliarden Euro aus, rund 50 000 Fälle wurden registriert. Dazu gehört aber etwa auch die unerlaubte Zusammenarbeit von Konkurrenten, die von den Plänen der Bundesregierung nicht betroffen ist. Insgesamt macht Wirtschaftskriminalität weniger als ein Prozent der Fälle in der Kriminalstatistik aus - verursacht dafür aber einen vergleichsweise hohen Schaden.
Was ist, wenn Unternehmen eigene Untersuchungen anstellen?
Das ist laut Justizministerium beim Verdacht auf Straftaten zumindest bei großen Unternehmen inzwischen die Regel - meist über Anwälte oder Wirtschaftsprüfer. Künftig sollen sich solche Untersuchungen strafmildernd auswirken, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden. So muss etwa die Befragung der Mitarbeiter fair und transparent ablaufen.
Was hält die Wirtschaft von den Plänen?
Große Verbände sind schon vor dem Beschluss der Bundesregierung Sturm gelaufen. Es drohe - gerade angesichts der Coronakrise - eine "unangemessene Belastung", warnten etwa der Arbeitgeberverband BDA, der Handelsverband HDE und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Für Unternehmen mit einem hohen Umsatz, aber niedriger Gewinnmarge kämen die geplanten Sanktionen einer "Todesstrafe" gleich. Auch FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae kritisierte, selbst Unternehmen, die alle Compliance-Maßnahmen einhielten, würden in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Der Deutsche Richterbund zeigte sich zudem skeptisch, dass das Gesetz mit den derzeitigen personellen Ressourcen umzusetzen ist.
Wie geht es weiter?
Als nächstes geht das Gesetz an Bundestag und Bundesrat. Doch auch nach deren Zustimmung sollen die neuen Sanktionen nicht gleich angewendet werden. Unternehmen und die Justiz bekommen zwei Jahre Zeit, sich auf die neuen Regeln einzustellen. (dpa/swi)
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