Nokia Here geht an deutsche Autokonzerne

Espoo/Berlin/München. Die deutschen Autokonzerne Daimler, Audi und BMW machen das Rennen den Kartendienstleister Here und kaufen für 2,8 Milliarden Euro das Tochterunternehmen des finnischen Telekommunikationsunternehmens Nokia. Mit diesem Deal kommt zum Abschluss, was sich schon seit Monaten angekündigt hatte: Die drei Partner übernehmen Here jeweils zu gleichen Teilen, keiner von ihnen strebt eine Mehrheit an. Vorbehaltlich der Freigabe durch die zuständigen Kartellbehörden werde der Abschluss der Transaktion im ersten Quartal 2016 erwartet.

Seit Monaten war über eine Übernahme von Nokias Kartendienst durch die Automobilhersteller Audi, Daimler und BMW spekuliert worden. In den vergangenen Tagen spitzten sich die Gerüchte dann immer mehr zu.

Der ehemalige Handy-Weltmarktführer Nokia rechnet mit einer Nettozahlung von 2,5 Milliarden Euro für die seit längerem zum Verkauf stehende Sparte. Zudem dürfte sich der Deal mit einem Sonderertrag von rund 1 Milliarde Euro in den Büchern der Finnen niederschlagen, hieß es.

In den vergangenen Wochen hatte sich in Medienberichten bereits herauskristallisiert, dass die deutschen Autobauer die besten Chancen auf den Zuschlag haben. Die Hersteller selbst wollen mit diesem Schritt nach eigenen Angaben "die Verfügbarkeit der Produkte und Dienstleistungen von Here als offene, unabhängige und wertschaffende Plattform für cloud-basierte Karten und Mobilitätsdienste dauerhaft sichern".

Die Autohersteller brauchen exakte Kartendaten und Echtzeitinformationen über den Straßenverkehr, wenn sie ihre Autos automatisch über die Straßen schicken wollen. Eine Möglichkeit wäre gewesen, Google als Navigationsmöglichkeit mit den Echtzeitkartendaten in die Autos zu lassen. Doch das wollten die Autohersteller auf keinen Fall – denn damit wären weitere Verpflichtungen verknüpft gewesen: Google will Daten, sehr gern auch die der Autofahrer.

Aber die Daten wollen die Autohersteller nicht hergeben, denn ihr Credo ist: Die Daten gehören zunächst dem Kunden. Wenn er sie uns anvertraut, müssen wir trotzdem zurückhaltend mit ihnen arbeiten. Das könnten die Hersteller aber nicht gewährleisten, wenn sie Google die Informationen weiterreichen würden.

Mit Here sichern sie sich einen derzeit sehr gut aufgestellten Kartendienst, mit dem sie Google die Stirn bieten können. Audi, Daimler und BMW wollen die Here-Karten aber nicht allein nutzen. DieDienste und Karten sollen für alle Kunden aus der Auomobilindustrie sowie für Kunden aus anderen Branchen zugänglich gemacht werden. Here werde eine "Schlüsselrolle bei der digitalen Revolution der Mobilität" spielen, erklärte BMW-Chef Harald Krüger. Daimler-Chef Dieter Zetsche bezeichnete hochpräzise digitale Karten als einen entscheidenden Baustein für die Mobilität der Zukunft.

Die Hersteller zahlen jetzt 2,8 Milliarden Euro. Die Automobilwoche wie viele andere Medien auch hatte sich bislang immer auf Aussagen bezogen, bei der es sich um eine Übernahmesumme von 2,5 Milliarden Euro handelt. Doch kurz vor der Unterzeichnung der Übernahme wird es noch hier und da kleine Preiskorrekturen und Verhandlungen gegeben haben.

Fakt ist: Nokia hat bei weitem nicht den Preis zurück bekommen, den der finnische Konzern im Oktober 2007 für die Übernahme des damaligen Kartenanbieters Navteq, wie Here früher hieß, zahlte. Nokia bätterte schlappe acht Milliarden US-Dollar (5,7 Euro) für den Kartendienst hin.

Als Nokia Here zur Auktion stellte, war das eine seltene Gelegenheit, einen gut ausgebauten weltweiten Kartendienst zu erwerben. Laut Medienberichten hatte sich Nokia einen höheren Preis erhofft – von vier Milliarden war immer wieder die Rede. Zunächst soll es auch viele Interessenten gegeben haben, von chinesischen Online-Konzernen wie Baidu bis hin zum umstrittenen Fahrdienst-Vermittler Uber, der selbst an selbstfahrenden Fahrzeugen forscht. Am Ende blieben jedoch nur die deutschen Autobauer im Rennen.

Nokia tritt seinen Kartendienst ab, um sich auf das Kerngeschäft als Ausrüster von Telekom-Netzwerken zu konzentrieren und den Konkurrenten Alcatel-Lucent zu kaufen. Nokia-Chef Rajeev Suri baut Nokia derzeit zum reinen Telekomausrüster um.

Here hingegen wurde stark auf Bedürfnisse der Autobranche ausgerichtet und soll vor allem mit detailreichen Karten für selbstfahrende Fahrzeuge punkten. Wie die Audi, BMW und Daimler mitteilten, soll Here als eigenständiges Unternehmen seine Dienste an Kunden aller Branchen anbieten.

Here sitzt hauptsächlich in Berlin und beschäftigt derzeit rund 6450 Mitarbeiter. Der Kauf habe auch aus industriepolitischer Sicht eine enorme Bedeutung, betonte Wirtschafts-Staatssekretär Matthias Machnig. "Die automobile Wertschöpfungskette wird insgesamt in Deutschland weiter gestärkt. Wichtig ist, dass eine offene Plattform entsteht, die für weitere Hersteller aus Europa offen ist."

Künftig könnten sich damit "intelligente" Autos in Echtzeit gegenseitig vor Staus oder Hindernissen warnen, teilte VDA-Präsident Matthias Wissmann mit. "Das ist ein wesentlicher Schritt hin zu mehr Verkehrssicherheit."

Im ersten Halbjahr stieg der Umsatz von Here als Nokia-Sparte um ein Viertel auf 551 Millionen Dollar (gut 500 Millionen Euro) und es gab einen operativen Gewinn von 28 Millionen Dollar. Im vergangenen Jahr hatte Nokia den Here-Wert um 1,2 Milliarden Euro berichtigt, was beim gesamten Konzern auf die Bilanz drückte.

Nokia wird nach dem Verkauf nur noch aus dem Netzwerk-Geschäft und der "Technologies"-Sparte bestehen, die auch an einer Rückkehr ins Verbrauchergeschäft arbeitet. Der Konzern hatte seine einst weltgrößte Handy-Sparte im vergangenen Jahr an Microsoft verkauft und muss noch bis 2016 warten, bis er seinen Markennamen wieder auf Smartphones nutzen kann. (Mit Material von dpa)