Welche Lager stehen sich im Kabinett gegenüber?
Eine proeuropäische Gruppe um Schatzkanzler Philip Hammond plädiert für eine möglichst enge Anbindung an die Europäische Union und ist bereit, dafür Kompromisse einzugehen. Das andere Lager um Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis verlangt dagegen einen möglichst klaren Bruch mit Brüssel. Vorteile aus der EU-Mitgliedschaft sollen dem Land aber möglichst erhalten bleiben.
Zu welchem Block gehört May?
Sie laviert seit Monaten zwischen den beiden Lagern und muss immer wieder um ihre politische Zukunft bangen. Denn seit einer Neuwahl im vergangenen Juni regiert sie nur noch mit hauchdünner Mehrheit und ist von allen Seiten angreifbar. Dass sie ihren Posten als Regierungschefin bislang nicht räumen musste, hat nach Ansicht vieler Beobachter nur damit zu tun, dass es keine gute Alternative für sie gibt. Bislang ist es May auch einigermaßen gelungen, beiden Seiten das Gefühl zu vermitteln, sie könnten die Oberhand gewinnen.
Welche Trennung von der EU strebt die Regierungschefin an?
Großbritannien wird nach Angaben von May sowohl die Europäische Zollunion als auch den Binnenmarkt verlassen. Es soll aber Zollabkommen mit der EU geben. Die Zollunion garantiert freien Warenverkehr über Binnengrenzen hinweg. Voraussetzung sind gemeinsame Außenzölle - das kollidiert aber mit dem Anspruch der Brexiteers, eigene Handelsabkommen mit Ländern wie China und den USA zu schließen. Der Binnenmarkt sorgt dafür, dass keine rechtlichen Hürden die Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren, Geld und Dienstleistungen innerhalb der EU einschränken. Das bringt aber Einwanderer ins Land, kostet Beiträge zum EU-Haushalt und erfordert eine übergeordnete Instanz für die Rechtssprechung - all das will London abschütteln.
Wie kann May ihr Kabinett einigen?
Britische Medien spekulierten vor dem Treffen, May könnte versuchen, ihr zerstrittenes Kabinett zu einem Kompromiss zu bewegen: Er sieht eine Quasi-Mitgliedschaft in der Zollunion und eine Beteiligung am Binnenmarkt zumindest für Waren vor. Bei Dienstleistungen - etwa bei internationalen Finanzgeschäften von Banken in London - könnte das Land dann theoretisch seine eigenen Wege gehen. Ein solches Konzept liefe auf einen recht weichen Austritt aus der EU hinaus - genau das Gegenteil von dem, was sich viele Brexit-Hardliner wünschen. Unklar ist auch, wie Brüssel auf einen solchen Vorschlag reagieren würde. Möglicherweise muss May für solche Kompromisse an anderer Stelle in den sauren Apfel beißen und Zugeständnisse machen, etwa bei den Rechten von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich.
Was könnte schlimmstenfalls passieren?
Wenn das Kabinett weiter uneins ist und die Verhandlungen zwischen London und Brüssel so zäh bleiben, dann könnte sich Großbritannien ohne Abkommen von der EU trennen. Das würde wohl zunächst ein Chaos auslösen. Denn alle vorläufigen Vereinbarungen, die die EU und Großbritannien in mehr als einem Jahr zäher Runden getroffen haben, wären hinfällig. Unternehmen wie Airbus und BMW sind in großer Sorge; ihnen fehlt Planungssicherheit. "Mumpitz" und "Scheiß' auf die Wirtschaft" - so soll Außenminister Johnson auf solche Bedenken reagiert haben. Ihm werden übrigens auch Begehrlichkeiten auf den Regierungsposten nachgesagt - immer wieder attackiert er May.
Sind die Briten trotzt allem immer noch für den Brexit?
Ja. Vor zwei Jahren haben die Briten nur mit knapper Mehrheit (52 Prozent) für die Scheidung von der EU gestimmt. Daran hat sich jüngsten Umfragen zufolge kaum etwas geändert. In Großbritannien gilt: einmal Brexiteer, immer Brexiteer. Einmal EU-Anhänger, immer EU-Anhänger. Nur bei den Nichtwählern gibt es etwas Bewegung zugunsten der EU-Befürworter. Zu denen, die sich keinen Deut bewegen, gehört auch der erzkonservative Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg, ein einflussreicher Hinterbänkler im Parlament. Sollte May tatsächlich einen weichen Brexit durchsetzen, werde seine Partei jegliche Glaubwürdigkeit verlieren, warnte er: Die Tories würden zu "Toast". (Von Silvia Kusidlo und Christoph Meyer, dpa)
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