Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zur gescheiterten Pkw-Maut geht nach mehr als einem Jahr Arbeit auf die Zielgerade. Zwar sieht die Opposition Vorwürfe gegen Verkehrsminister Andreas Scheuer erhärtet. Der CSU-Politiker aber ist immer noch im Amt. Er weist Vorwürfe zurück.
In dieser Woche sind drei Sitzungen des U-Ausschusses geplant. Am Montag kommt unter anderem ein Abteilungsleiter aus dem Verkehrsministerium. Am Donnerstag soll der frühere Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) befragt werden, der von 2013 bis 2017 im Amt war - bis ihm Scheuer folgte.
Der aktuelle Verkehrsminister soll zum Abschluss der Zeugenbefragungen Ende Januar erneut gehört werden. Danach wird der Abschlussbericht geschrieben. "Die letzten und politisch wichtigsten Befragungen folgen jetzt", sagte der Ausschussvorsitzende Udo Schiefner (SPD): "Ich bin gespannt auf diesen Endspurt."
Darum geht es: Der Ausschuss soll das Verhalten des Verkehrsministeriums und seiner nachgeordneten Behörden seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD 2013 im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Einführung der später gescheiterten Pkw-Maut aufklären. Es geht vor allem um das Vergabeverfahren, die spätere Kündigung der Verträge zur Erhebung und Kontrolle und die daraus resultierenden Folgen.
Es handelt sich also nicht um einen Untersuchungsausschuss gegen Scheuer. Auch deswegen hatte Schiefner zu Beginn der Arbeit im Dezember 2019 davor gewarnt, das Gremium zu einer "politischen Show-Bühne" zu machen. Dennoch stand die Rolle Scheuers im Vordergrund - und das offenkundige Ziel der Opposition, seinen Rücktritt zu erreichen. Weswegen der CSU-Abgeordnete Michael Frieser im Bundestag schimpfte, die Opposition wolle nur Zirkus und nicht die Suche nach der Wahrheit.
"Bisher hat der Ausschuss allerdings keine überraschenden Erkenntnisse gewonnen", sagte Unions-Obmann Ulrich Lange (CSU). "Vorwürfe der Opposition haben sich nicht bestätigt."
Das sieht die Opposition völlig anders. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte, um die Maut umzusetzen, habe Scheuer systematisch und bewusst Haushalts- und Vergaberecht gebrochen - und Verträge zur Umsetzung der Pkw-Maut völlig übereilt und ohne genauere Kenntnis der Schadenssumme gekündigt. "Der Effekt: Die größtmögliche Schadenssumme kann entstehen."
FDP-Obmann Christian Jung sprach von einer Reihe "offenkundiger Verstöße" nicht nur gegen Europarecht, sondern ebenso gegen Haushalts- und Vergaberecht. Deswegen könnte am Ende der Bewertung eine Feststellung zwischen Organisationsverschulden, fehlenden Kontrollmechanismen und Verantwortungsmissbrauch stehen. Der Linke-Obmann Jörg Cezanne meinte: "Im Rahmen der bisherigen Aufarbeitung des Mautdesasters wurde deutlich, dass die Minister Dobrindt und Scheuer die CSU-Ausländermaut ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen wollten."
Scheuer selbst warf der Opposition vor, ihr Ziel sei keine sachliche Aufarbeitung. Er wies im Deutschlandfunk erneut darauf hin, er habe als Minister ein Gesetz umgesetzt: "Nicht mehr und nicht weniger."
Die erste Befragung des Ministers im vergangenen Oktober war bisher der Höhepunkt des Maut-Ausschusses. Am Ende aber stand Aussage gegen Aussage. Denn Scheuer und Manager der einstigen Betreiberfirmen widersprachen sich in zentralen Darstellungen.
Die Manager hatten ausgesagt, sie hätten Scheuer im Herbst 2018 angeboten, mit dem Abschluss des Maut-Betreibervertrags zu warten, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet - auch weil zwischen dem Angebot der Firmen und den eingeplanten Haushaltsmitteln ein großes Loch klaffte. Scheuer habe das aber abgelehnt. Der Minister dagegen sagte aus: Ein Angebot der Betreiber zu einer Verschiebung eines Vertragsschlusses bis zu einem EuGH-Urteil habe es nach seiner Erinnerung nicht gegeben.
Ein Hauptvorwurf der Opposition ist, dass Scheuer die Maut-Verträge schloss, bevor Rechtssicherheit bestand. Der EuGH kippte die Maut im Juni 2019, weil sie Fahrer aus dem Ausland benachteilige. Direkt nach dem Urteil kündigte der Bund dann die Verträge, und die Betreiber fordern inzwischen hohe Entschädigungen - zu Lasten der Steuerzahler. Die vorgesehenen Betreiber fordern 560 Millionen Euro Schadenersatz, es läuft ein Schiedsverfahren.
Die Opposition zweifelte die Glaubwürdigkeit des Ministers an - scheiterte aber mit der Forderung, Scheuer und Manager zeitgleich erneut zu befragen. Dagegen stimmte neben der Union auch SPD. Die SPD spielt überhaupt eine nicht unwesentliche Rolle bei der Frage, warum Scheuer noch im Amt ist. Nach seinem Auftritt im Ausschuss im Oktober sagte die SPD-Obfrau Kirsten Lühmann, zwar habe die Befragung nicht die Klarheit erbracht, die man sich erhofft habe - aber Scheuer sei auch keine Falschaussage nachzuweisen.
Die SPD senkte also nicht den Daumen und forderte offen den Rücktritt des Ministers. Das hätte den Koalitionspartner in Bedrängnis bringen können. Innerhalb der CSU war und ist Scheuer durchaus nicht unumstritten. Vor einem Jahr zeigte sich CSU-Chef Markus Söder offen für eine Kabinettsumbildung - es schien, als wackle vor allem der Stuhl Scheuers. Dann aber kam die Corona-Krise.
Und Scheuer ist noch im Amt. Zwar hat er durchaus etwas auf der Habenseite in seiner Amtszeit - zum Beispiel deutlich mehr Geld für die Schiene oder eine Einigung unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft auf neue Maut-Regeln für Lastwagen. Dazu kommt aber neben der Pkw-Maut etwa der Schlamassel um den neuen Bußgeldkatalog, der wegen eines Formfehlers in der Straßenverkehrsordnung immer noch außer Vollzug ist. Krischer sagte, Scheuers Verfehlungen bei der Maut reichten für mindestens drei Rücktritte. Jung meinte: Nur die Corona-Krise habe Scheuer vor einem Rausschmiss gerettet. (Von Andreas Hoenig, dpa)
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