In Stuttgart wird es erst einmal keine Fahrverbote für ältere Diesel-Autos geben. Das Land Baden-Württemberg geht gegen das umstrittene Fahrverbotsurteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart von Ende Juli vor. Die grün-schwarze Regierung einigte sich am Montag auf eine Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, wie die Regierungszentrale mitteilte. Der zuständige Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) legte die Revision noch am selben Tag ein. Dabei werden lediglich die rechtlichen Aspekte des Stuttgarter Urteils noch einmal gegengecheckt. Bis dahin wird es nicht rechtskräftig. Fahrverbote drohten schon zum 1. Januar 2018.
Grün-Schwarz hat Revision eingelegt
Die Deutsche Umwelthilfe, die in Stuttgart als Klägerin aufgetreten war, erklärte, mit der Zustimmung zur Sprungrevision könne man leben. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch forderte Kretschmann sowie den Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) aber zu Sofortmaßnahmen auf, um die Stickoxid-Belastung zu reduzieren. Dazu gehörten etwa Sofort-Nachrüstungen bei Bussen sowie Stadt- und Landesfahrzeugen. Kuhn sicherte zu, dass die Stadt Stuttgart dahingehend alles tun werde. Über ein Paket mit kurzfristigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung aus dem Haus von Minister Hermann will die Koalition noch verhandeln.
Zu den rechtlichen Aspekten, die nun noch einmal geprüft werden, gehört die Frage, ob das Land Fahrverbote in Eigenregie umsetzen kann, wenn der Bund nicht handelt, obwohl er zuständig wäre. Das Verwaltungsgericht Stuttgart war der Meinung, das Land könne selbst solche blauen Umweltzonen einrichten, in die ältere Diesel nicht fahren dürften. "Doch ob das rechtlich überhaupt möglich ist, darüber besteht in der Rechtsprechung große Ungewissheit", meinte Kretschmann. "Wir halten das auch selbst für juristisch fragwürdig."
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch bezeichnete die Sprungrevision als faulen Kompromiss. "Wer Fahrverbote wirklich verhindern will, muss mit einer Berufung an einer rechtlichen und inhaltlichen Prüfung des Urteils interessiert sein." FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sieht die Reputation von Vize-Regierungschef Thomas Strobl zerstört. Strobl, der auch CDU-Landeschef ist, war noch vor rund einer Woche in der CDU-Landtagsfraktion für eine Berufung eingetreten.
Die Fraktionschefs von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Wolfgang Reinhart, stellten sich nun hinter die Sprungrevision. "Ein langwieriges Berufungsverfahren, das weitere effektive Maßnahmen auf die lange Bank schiebt, wäre das falsche Signal gewesen", meinte Schwarz. Reinhart meinte: "Mit einer Sprungrevision ist unser Hauptziel einer Überprüfung des Urteils erreicht, auch wenn nach unserer Auffassung eine Berufung noch zielführender gewesen wäre."
Die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Baden-Württemberg, Sabine Hagmann, kritisierte den Verzicht auf die Berufung. Sie hätte sich eine vollumfängliche Überprüfung gewünscht. Man wisse, dass mit Fahrverboten der Region, deren Wirtschaft und Bevölkerung langfristig großer Schaden zugefügt werde.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hatte hingegen für eine Annahme des Urteils plädiert. "Die Sprungrevision verzögert wirksame Maßnahmen zur Luftreinhaltung um mindestens ein weiteres Jahr", sagte Landesgeschäftsführerin Sylvia Pilarsky-Grosch. Die Landesregierung agiere als politische Dependance der Autolobby. (dpa/os)
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