Trotzdem warnen die Experten vor Alarmismus. "Von einer tiefen Konjunkturkrise kann nicht gesprochen werden", sagte Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Umfassende Konjunkturpakete seien nicht nötig, die in das Sozialsystem eingebauten automatischen Stabilisatoren wie das Kurzarbeitergeld reichten aus, um das Tief abzufangen.
Auch von Abwrackprämien, die zur vorzeitigen Verschrottung eigentlich langlebiger Konsumgüter führen, halten die Wirtschaftsforscher nichts. Sie widersprächen "wirtschaftlicher Rationalität", sagte Michelsen. Stattdessen werben die Forscher dafür, im Bundeshaushalt neue Schulden aufzunehmen. "Ein Festhalten an der schwarzen Null wäre [...] schädlich", schreiben sie in ihrem Gutachten. So spare man dem Abschwung hinterher und verstärke eher noch negative Tendenzen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dagegen warnte vor dem Weg in eine neue Politik der Verschuldung. Er sei für Entlastungen bei Steuern, Sozialabgaben und Bürokratie, sagte er.
Die wichtigsten Aussagen aus dem Gutachten im Überblick:
INDUSTRIE: Die Schwäche der deutschen Wirtschaft ist in erster Linie eine Schwäche der Industrie. Seit gut eineinhalb Jahren ist die Produktion rückläufig, da die Nachfrage in wichtigen Absatzmärkten schwächelt. Allein im Kraftfahrzeugbau ging die Produktion seit Mitte 2018 um mehr als ein Fünftel zurück. Die Industrie befinde sich tatsächlich in einer Rezession, einem Abwärtssog, sagt Michelsen - und allmählich strahle diese Entwicklung auch auf den Dienstleistungssektor aus.
Vor allem hätten die Handelskonflikte der USA mit China und der EU sowie die Unklarheit über den Brexit Unternehmen weltweit verunsichert. "Und Unsicherheit ist Gift für die Investitionstätigkeit", betonte Michelsen. Deutschland treffe eine solche Entwicklung als Exportnation besonders.
JOBS: Für den Arbeitsmarkt sind die Wirtschaftsforscher optimistischer. Die schwache Konjunktur werde sich nicht eins zu eins auswirken. Zwar habe die Dynamik nachgelassen und einige Unternehmen hätten zuletzt Stellen abgebaut. Trotzdem werde es in diesem Jahr 380.000 neue Arbeitsplätze geben. Die Arbeitslosenquote sinke weiter, allerdings nur noch leicht auf 4,9 Prozent im Jahr 2021.
Zugleich aber steigt die Kurzarbeit. Zwar sei sie noch auf niedrigem Niveau und auf einzelne Branchen konzentriert, sagte Michelsen. Timo Wollmershäuser vom Münchner ifo-Institut aber gab zu bedenken, jede Kurzarbeit bedeute Einkommensverluste für die Arbeitnehmer, die sich über kurz oder lang auch auf das Konsumverhalten auswirkten.
GELD: Die Experten gehen trotzdem davon aus, dass die Bürger Ende des Jahres mehr im Geldbeutel haben. Die effektiven Stundenverdienste dürften 2019 noch um drei Prozent steigen, in den Folgejahren dann weniger. Da die Verbraucherpreise um 1,5 Prozent zulegten, steige die Kaufkraft der privaten Haushalte. Dazu kommen die Kindergelderhöhung, Mitte 2020 ein Anstieg der Renten und 2021 für die meisten die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. "All dies stützt die Kaufkraft und damit den Konsum der privaten Haushalte", sagen die Forscher.
RISIKEN: Die Institute gehen in ihrer Prognose davon aus, dass sich die weltweiten Handelskonflikte nicht noch weiter verschärfen und dass Großbritannien geordnet aus der EU austritt. Sollten die Konflikte zügig beigelegt werden, dürften Unternehmen auf der ganzen Welt schnell wieder investieren. Eine Verschärfung dagegen würde die deutsche Wirtschaft zusätzlich schwächen. Das gleiche gilt für einen ungeordneten Brexit: Dann dürfte die deutsche Wirtschaft nach Prognose der Experten faktisch stagnieren. Unsicher sind die Institute auch hinsichtlich der Frage, ob die Wirtschaftsflaute lediglich ein normaler Abschwung ist, der alle paar Jahre vorkommt oder etwas besonderes. "Wir haben eine sehr rapide Abkühlung der Konjunktur erlebt", sagte Michelsen. Daher könne man sich fragen, ob auf Deutschland nicht doch größere Probleme zukämen. (dpa-AFX/os)
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