Stuttgart/Unterschleißheim. Morgens die Kinder schnell in die Kita bringen und dann am heimischen Computer das Meeting mit denChefs verfolgen.Am Abend nach dem Abendessen noch einmal Mails checken und die letzten Details im Vertrag mit dem Geschäftspartner in denUSAklären - und alles ohne Überstunden?
Flexible Arbeitszeitmodelle werden mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit. DerTechnikkonzern Bosch hat im vergangenen Jahr eigens eine Betriebsvereinbarung dazu geschlossen, selbst in der Fertigung werden familienfreundlicheSchichten angeboten. Daimler will in diesemJahr seine Mitarbeiter befragen, um sein Angebot an flexiblen Arbeitszeitmodellen - zumindest außerhalb der Produktionshallen - auszubauen. Der Softwarekonzern Microsoft setzt seit Jahren auf möglichst wenig starre Regeln. Dort nutzen inzwischen mehr als 90Prozent der 3000 Mitarbeiter räumlich oder zeitlich flexible Arbeitszeitmodelle.
Laut einerUntersuchung des Centre of Human Resources InformationSystems (CHRIS)an derUni Bamberg unter den 1000 größtenUnternehmen in Deutschland gelten flexibleArbeitszeitmodelle und Home Office nebenWeiterbildung als Top-Maßnahme gegen Probleme bei der Besetzung neuerStellen. Bewerber fordern Vereinbarkeit von Familie und Beruf inzwischen fast selbstverständlich ein. Doch es zeigen sich auch Schattenseiten:Während man bei den befragten Firmen davon ausgeht, dass flexible Arbeitszeiten die Produktivität derMitarbeiter durchaus erhöht, gilt das nicht unbedingt für räumlich verteiltes Arbeiten.
Kann die Arbeitszeit dagegen völlig frei gewählt werden, das zeigtenAnalysen vonDaten ausDeutschland und Europa, führe das häufig zu Arbeitsintensivierung undÜberstunden, sagt Yvonne Lott, Arbeitsmarktforscherin bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Insbesondere Menschen, die sich stark mit ihrem Job identifizieren, seien gefährdet. «Die Debatte verschiebt sich wieder in Richtung Kontrolle», sagt Lott.
«Virtuelles Arbeiten wird nicht in die Wiege gelegt. Das muss man lernen», erläutert Microsoft-Personalchefin Elke Frank. Von Kontrolle will sie nichts wissen, stattdessen sieht sie drei Bedingungen, dass die schöne neue Arbeitswelt funktioniert. «Klare Zielvereinbarung, klare Regeln und die Kommunikation muss passen.» Es brauche feste Zeiten, in denen sich das Team undVorgesetzte auch in der Realität treffen können. Denn ohne persönlichen Kontakt - auch ein Ergebnis der Arbeitsmarktforscher an der Uni Bamberg - wird ständige Abwesenheit als Risiko für die Karriere gewertet.
«Es gibt bei mir keinen Preis dafür, wer am schnellsten auf eine E-Mail antwortet», sagt Frank. Entscheidend sei das Ergebnis. Auch dieFührungskräfte müssten neue Verantwortlichkeiten erlernen: «Wenn mir ein Kollege immer um 23.00 Uhr eine E-Mail schreibt, muss ich fragen: Warum?» Stattdessen trainiere man Eigenverantwortung:«Die Mitarbeiter müssen auch mal mutig sein und offline gehen.»
Auch bei Bosch setzt man auf Selbstmanagement.«Ziehen Sie klare Grenzen der Erreichbarkeit», heißt es in Handlungsempfehlungen für dieMitarbeiter. Der Technikkonzern rät seinen Mitarbeitern, den eigenen Arbeitsrhythmus zu analysieren. «Nutzen Sie die Flexibilität der Arbeitszeit und finden Sie heraus, zu welcher Tageszeit Sie am produktivsten arbeiten können.»
Schließlich warnt man bei Bosch sogar:Nicht jeder eigne sich für flexibles Arbeiten. «Seien Sie ehrlich zu sich selbst.» Flexibles Arbeiten sei keinePflicht, sondern einAngebot, sagt ein Sprecher. Beutet sich derMitarbeiter zu sehr aus, soll der Vorgesetzte die Reißleine ziehen: Führungskräfte hätten auch die Möglichkeit, mobiles Arbeiten zu verbieten, wenn die Leistung nachlasse oder der Mitarbeiter überfordert sei.
Aufzuhalten ist derTrend nach Einschätzung vonArbeitsmarkforscherin Lott allerdings trotzdem nicht. Angesichts neuer Belastungen durch pflegebedürftige Eltern nehme das Bedürfnis nach freier Zeiteinteilung eher zu. Auch Microsoft Personalerin Frank geht davon aus, dass die Stechuhr irgendwann der Vergangenheit angehört. «Aus meiner Sicht kann sich das keine Firma mehr leisten.» (dpa/gem)