Was hat Leipzig geurteilt?
Das Bundesverwaltungsgericht hält Diesel-Fahrverbote für bessere Luft in Städten nach geltendem Recht für grundsätzlich zulässig - auch ohne eine bundeseinheitliche Regelung wie eine "blaue Plakette". In den jeweiligen Luftreinhalteplänen muss jedoch die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme geprüft werden - sprich: mit Übergangsfristen etwa sollen mögliche Nachteile für Dieselfahrer abgemildert werden. Außerdem sollen Ausnahmeregelungen geprüft werden, damit zum Beispiel Handwerker noch Kunden beliefern können.
Die Bundesrichter urteilten, zwar lasse das Bundesrecht "zonen- wie streckenbezogene" Fahrverbote speziell für Diesel eigentlich nicht zu. Das EU-Recht verpflichte aber dazu, dass Grenzwerte schnellstmöglich eingehalten werden. Deswegen seien Fahrverbote zulässig, wenn sie sich als die "einzig geeignete Maßnahme" erweisen, um die Grenzwerte schnellstmöglich einzuhalten. (Lesen Sie hier: Das Urteil im Wortlaut)
Was bedeutet das für die beklagten Städte Düsseldorf und Stuttgart?
Bei dem Verfahren in Leipzig ging es konkret um Luftreinhaltepläne in Düsseldorf und Stuttgart. Diese müssen nun so geändert werden, dass die Grenzwerte schnellstmöglich eingehalten werden. In Stuttgart muss eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten geprüft werden. In einer ersten Stufe sind nur ältere Fahrzeuge betroffen - etwa bis zur Abgasnorm Euro 4. Um die Verhältnismäßigkeit herzustellen, dürfen aber jüngere Euro-5-Fahrzeuge nicht vor dem 1. September 2019 mit Verkehrsverboten belegt werden. Zu Düsseldorf urteilte das Gericht, die Behörden hätten Fahrverbote ernsthaft in den Blick zu nehmen.
Zugleich gab das Gericht noch einen Ausweg vor: Die betroffenen Kommunen müssten darstellen, wie sich die Überschreitung der Grenzwerte entwickelt hat. Sollte sich die Luft verbessert haben, könnten Fahrverboten vermieden werden.
Was bedeutet das Urteil für Dieselfahrer?
Die Unsicherheit dürfte steigen. Zwar schränkten die Bundesrichter ein: Verkehrsverbote würden nur für einen Bruchteil des Streckennetzes in Deutschland in Betracht kommen. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass zeitlich versetzt eingeführte Verkehrsverbote zu einem Zusammenbruch des Gebrauchtwagenmarktes führten. Das Urteil sagt aber zugleich: Es gibt es keine finanzielle Ausgleichspflicht für Dieselautos, die im Falle von Fahrverboten an Wert verlieren könnten. "Gewisse Wertverluste sind hinzunehmen", betonte der Senatsvorsitzende Andreas Korbmacher.
Welche Folgen hat das Urteil für andere Städte?
Auch wenn das Bundesgericht konkret nur über die beiden Fälle in NRW und Baden-Württemberg geurteilt hat - die Entscheidung hat eine deutschlandweite Signalwirkung. Für jede Stadt, in der Grenzwerte überschritten werden, ist es nun generell möglich, Fahrverbote für ältere Diesel als Option in den jeweiligen Luftreinhalteplan aufzunehmen. Die entscheidende Frage ist: können Fahrverbote mit anderen Maßnahmen verhindert werden? Es gibt keinen Automatismus. Falls es dazu kommt, könnten Fahrverbote zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein.
In rund 70 deutschen Städten werden die Grenzwerte für Stickoxide, die als gesundheitsschädlich gelten, nicht eingehalten. (Sehen Sie hier: Deutschlandkarte: Städte, in denen Fahrverbote drohen)
Wie schnell kommen die Fahrverbote?
Hamburg hat will schon im April erste Fahrverbote verhängen und zwar in zwei wichtigen Durchgangsstraßen im Stadtteil Altona. Der Berliner Senat will bis Jahresende prüfen, ob es ab 2019 Fahrverbote in der Hauptstadt geben soll. In Stuttgart könnte es für ältere Diesel schon Ende 2018 erste Beschränkungen geben.
Was machen Handwerker künftig?
Für Handwerker und andere Gruppen, wie z.B. Pflegedienste, Polizei und Feuerwehr soll es Ausnahmen geben - ebenso für "bestimmte Anwohnergruppen". Konkreter wurde das Gericht hier nicht.
Wie sollen die Fahrverbote durchgesetzt werden?
Das ist noch völlig offen. "Wir haben keine Hundertschaften im Keller, die nur auf neue Aufgaben warten", sagte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Derartige Verbotszonen seien nicht kontrollierbar. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sagte wegen der Dieselkontrollen in der Landeshauptstadt Stuttgart "Staus von Heilbronn bis Tübingen" voraus.
Was bedeutet das Urteil für die Autohersteller?
Für die Dieseltechnologie ist der Dienstag ein "schwarzer Tag" - und damit für die deutsche Autoindustrie, die lange auf den Diesel gesetzt hat. Deren Image ist wegen des Abgasskandals ohnehin ramponiert, die Diesel-Neuzulassungen sind seit Monaten auf Talfahrt. Ins Zentrum rücken dürfte nun die Frage: wie können Dieselautos technisch am wirksamsten nachgerüstet werden? Reichen Software-Updates aus, oder sind aufwendigere Umbauten direkt am Motor notwendig? Aber wer zahlt diese möglichen Hardware-Nachrüstungen am Ende, die pro Fahrzeug Schätzungen zufolge zwischen 1500 und 2000 Euro kosten - der Steuerzahler, die Hersteller oder beide? (Lesen Sie hier: VDA: "Reine Luft auf ohne Fahrverbote zu erreichen")
Wie reagiert die Bundesregierung?
Die geschäftsführende Bundesregierung betonte: Fahrverbote sollen vermieden werden. Das Milliardenprogramm "Saubere Luft" für Kommunen beginne zu wirken. Dabei geht es etwa um eine bessere Taktung des ÖPNV oder die Umrüstung von Bussen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet nur mit begrenzten Folgen des Urteils. Viele betroffene Städte hätten nicht so große Überschreitungen der Grenzwerte.
Nach dem Urteil dürfte aber nicht nur eine breite politische Debatte über technische Nachrüstungen einsetzen - sondern auch über die Einführung einer "blauen Plakette". Umweltverbände, aber auch Länder fordern sie seit langem. Damit wären Unterscheidungen möglich, ein "Flickenteppich" vieler unterschiedlicher Regeln könne verhindert werden. Die Bundesregierung lehnt eine solche Plakette bisher ab. (Lesen Sie hier: Reaktionen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf das Fahrverbote-Urteil (Von Andreas Hoenig und André Jahnke, dpa)
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