Der Volkswagen-Konzern wandelt derzeit auf einem riskanten Pfad. Als wären nicht noch immer die Probleme der Dieselaffäre zu schultern, hat Konzernchef Herbert Diess dem weltgrößten Autobauer die Flucht nach vorn ins Elektrozeitalter verschrieben und setzt wie wohl kein zweiter in der Branche auf den Erfolg mit reinen Elektroantrieben. An diesem Mittwoch (30. Oktober) legen die Wolfsburger ihre Zahlen zum dritten Quartal vor.
Der Marktführer bleibt trotz Branchenschwäche in der Spur
Seit ein paar Wochen ist die Katze aus dem Sack, die Staatsanwaltschaft Braunschweig nimmt in ihrer Anklage wegen Marktmanipulation auch Vorstandschef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch ins Visier. Das Gericht muss die Anklage noch zulassen, aber der Verdacht, Anleger bezüglich der Milliardenrisiken der Dieselaffäre vorsätzlich hinters Licht geführt zu haben, wiegt schwer. Die Manager beteuern ihre Unschuld und bleiben nach dem Willen des Aufsichtsrates auch am Ruder.
Andere wichtige Themen treten dagegen etwas in den Hintergrund. Diess ist eine große Wette eingegangen, die den Konzern zum Erfolg bei reinen Elektroautos geradezu verdammt. Im laufenden Fünfjahreszyklus bis 2023 steckt der Konzern mehr als 30 Milliarden Euro allein in die Elektrifizierung seiner Modellpalette, weitere 14 Milliarden in Vernetzung und Assistenzsysteme. Mit fast 70 neuen E-Modellen in den nächsten zehn Jahren will Volkswagen auf den eigenen Elektroplattformen 22 Millionen E-Autos bauen. Doch es ist weiter nicht klar, ob die auch zum Verkaufsschlager bei den Kunden werden.
Ein erster echter Lackmustest steht VW im kommenden Jahr bevor, wenn der ID.3 als neues Kompaktmodell die Erfolgsstory von Käfer und Golf im Elektrozeitalter weiterführen soll. 2021 greifen dann endgültig auch die härteren Vorgaben der EU-Kommission zum Ausstoß des klimaschädlichen Abgases Kohlendioxid (CO2). Verkauft VW dann nicht genug Elektroautos in Europa, drohen hohe Milliardenstrafen.
Diess hatte den Investoren neben dem mittlerweile auf kleiner Flamme durchgezogenen Teilbörsengang der Lkw- und Bustochter Traton zudem noch in Aussicht gestellt, sich von Randbereichen zu trennen. Bisher kam die Prüfung aber weder beim Großmotorenbauer MAN Energy Solutions noch beim Maschinenbauer Renk zu einem verkündbaren Ergebnis.
Immerhin steht VW im Tagesgeschäft besser da als so mancher Branchenrivale - und das trotz der Probleme des riesigen Automarktes in China, die VW überproportional treffen. Nur langsam erholen sich die Absatzzahlen in dem wichtigsten Einzelmarkt, der im VW-Konzern für fast 40 Prozent der Auslieferungen weltweit steht. Im dritten Quartal immerhin steht Volkswagen mit all seinen Fahrzeugmarken bei 2,64 Millionen ausgelieferten Fahrzeugen - ein Plus von 1,1 Prozent.
Allerdings fließen die chinesischen Geschäfte auch erst unter dem Strich in die Gewinn- und Verlustrechnung bei VW und nicht schon in Umsatz und operatives Ergebnis. Darüber hinaus profitieren die Wolfsburger von Kostensenkungen bei der Kernmarke und auch massiv von der in den vergangenen Jahren forcierten SUV-Offensive mit den teureren Stadtgeländewagen.
Nun soll auch der neue Golf in seiner achten Generation für weiteren Schwung bei der Profitabilität sorgen. Allerdings dürfte das erst nach dem Hochlauf und im kommenden Jahr spürbar werden. Neuere Modelle können Autobauer in aller Regel zu höheren Preisen verkaufen. Ungemach könnte Volkswagen aber in seinem Nutzfahrzeuggeschäft von Seiten der weltweiten Konjunkturlage drohen. Weltmarktführer Daimler sah im dritten Quartal so viele Warnsignale, dass die Stuttgarter ihre Ziele in der Lkw- und Bussparte senkten.
Und auch sonst ist bei VW vieles in der Diskussion, zuletzt vor allem das in der Türkei geplante Mehrmarkenwerk für Südosteuropa. Die finale Entscheidung wurde wegen der Militäroffensive der türkischen Armee in Nordsyrien aufgeschoben, Alternativplanungen für den Standort laufen dem Unternehmen zufolge nicht. Mitte November steht jedoch die Investitionsplanung für die kommenden fünf Jahre an - es bleibt also abzuwarten, wie lange sich der Konzern bei dem strategisch wichtigen Werk noch mehr Zeit lassen kann mit einer möglicherweise unpopulären Entscheidung.
Volkswagen rechnet in diesem Jahr dank leicht steigender Auslieferungen mit einem Umsatzplus von bis zu 5 Prozent (VJ: 235,8 Mrd Euro). Die um Sondereinflüsse bereinigte Marge des Ergebnisses vor Zinsen und Steuern soll zwischen 6,5 und 7,5 Prozent liegen. Inklusive Sondereinflüssen, die im ersten Quartal mit rund einer Milliarde Euro belasteten, dürfte das bereinigte operative Ergebnis am unteren Ende der Spanne landen.
Das Tagesgeschäft läuft bei den Wolfsburgern weiter verblüffend gut, wenn man den Analystenschätzungen Glauben schenkt. Im dritten Quartal gehen die von Bloomberg bis Dienstag befragten sieben Experten von einem Umsatzanstieg von 4,8 Prozent auf 57,8 Milliarden Euro aus. Das um Sondereinflüsse bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern schätzen sie auf 4,15 Milliarden Euro und damit 18,3 Prozent über dem Vorjahreswert. Damals hatte insbesondere die Einführung des Abgas- und Verbrauchstestverfahrens WLTP die Konzernmarken viel Arbeit und Geld gekostet. Unter dem Strich dürfte diesmal ebenfalls ein um mehr als 18 Prozent gestiegener Gewinn für die Anteilseigner von 3,16 Milliarden Euro stehen.
Den Schätzungen zufolge würde die Umsatzrendite vor Sondereinflüssen auch zwischen Juli und Ende September weiter über über 7 Prozent liegen. VW-Finanzchef Frank Witter hatte allerdings schon zur Jahresmitte gewarnt, dass es keinen Grund gebe, trotz guter Zahlen die Prognose anzuheben. Volkswagen sehe sich unvermindert Gegenwind vom Markt ausgesetzt und keineswegs Rückenwind.
VW sei in der einzigartigen Position, an einem Scheideweg der Branche schneller mit Innovationen an den Markt zu gehen als die Konkurrenten, schrieb Arndt Ellinghorst von Evercore. Im dritten Quartal sollte die Kernmarke aber wohl erneut unter neuen Abgastestvorschriften gelitten haben, Porsche, Audi und die Finanzdienstleistungen hätten aber im Gegenzug wohl gute Geschäfte gemacht. Der gestiegene Anteil von SUVs dürfte weiter geholfen haben, meinte Deutsche-Bank-Experte Tim Rokossa. Die kleineren VW-Nutzfahrzeuge sowie die schweren Geschwister von Traton könnten dagegen negativ überraschen, schrieb George Galliers von Goldman Sachs.
Allein im Oktober hat das Vorzugspapier von VW bei nun rund 174 Euro mehr als 11 Prozent gewonnen. Für das bisherige Jahr sieht es daher mit einen Plus von rund einem Viertel gut aus - das ist zwar nur ein Mittelfeldplatz im Dax, im europäischen Branchenindex der Autohersteller und Zulieferer liegt VW damit aber zumindest über dem Schnitt.
Die Anleger der im Dax notierten Vorzüge können ohnehin seit den großen Wirrungen um die Dieselmanipulationen und deren finanziellen Auswirkungen mit etwas mehr Gelassenheit auf ihre Anteile blicken als die Konkurrenz von Daimler und BMW. In den vergangenen drei Jahren steht ein Plus von fast 40 Prozent zu Buche. Die BMW-Stämme liegen hingegen mehr als ein Zehntel im Minus, Daimler-Aktien haben in diesem Zeitraum gar knapp ein Fünftel verloren.
Ob das ein Trost ist, hängt von der Perspektive ab - denn im Vergleich zum Hoch von über 260 Euro im März 2015 ist immer noch viel Börsenwert verschwunden. Schon bevor mit dem Bekanntwerden des Dieselbetrugs im September 2015 bei den Anlegern viel Porzellan zerschlagen wurde, war der Aktienkurs aber auf dem deutlich absteigenden Ast. (dpa-AFX/gem)
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