Inmitten der Beratungen über mehr Klimaschutz im Verkehr kocht der Streit über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen wieder hoch. In einer kontroversen Debatte im Bundestag warben am Donnerstag vor allem Grüne und Linke für eine generelle Begrenzung auch zum Schutz vor Unfällen.
Ein Vorstoß der Grünen zur Einführung von Tempo 130 schon zum Jahreswechsel scheiterte im Parlament aber klar.
Union, FDP und AfD lehnten ein Tempolimit kategorisch ab. SPD-Politiker machten jedoch deutlich, dass das Thema etwa bei Beratungen über mehr Verkehrssicherheit wieder auf die Agenda soll.
Die Grünen hatten zu der seit Jahrzehnten heiß umkämpften Frage einen konkreten Antrag vorgelegt. Damit sollte der Bundestag die Regierung auffordern, zum 1. Januar 2020 auf den Autobahnen eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Kilometern pro Stunde einzuführen.
Damit könne man sofort und umsonst Klimagase einsparen, sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Cem Özdemir (Grüne). Er rief Minister Andreas Scheuer (CSU) als prominentem Tempolimit-Gegner zu: "Sie verteidigen eine Verkehrspolitik von Vorgestern."
Mit dem automatisierten Fahren werde auch ein Limit kommen, da man nicht mit "250 Sachen" auf der einen und 130 auf der anderen Spur unterwegs sein könne. "Die Zeit der Drängler mit der Lichthupe wird vorbei sein." Linke-Verkehrsexpertin Ingrid Remmers sagte, ein Tempolimit sei eine schnelle, einfache, wirkungsvolle und kostenlose Maßnahme zur Verbrauchsminderung und für eine höhere Verkehrssicherheit.
In einer von den Grünen beantragten namentlichen Abstimmung fiel ihr Vorstoß dann aber klar durch - so war es auch zu erwarten. Bei 631 abgegebenen Stimmen votierten 498 Abgeordnete für die Empfehlung des Verkehrsausschusses, den Antrag abzulehnen.
Für den Grünen-Antrag positionierten sich 126 Abgeordnete, sieben enthielten sich. Dabei waren die Grünen geschlossen dafür, bei der Linken gab es auch zwei Enthaltungen. AfD und FDP lehnten geschlossen ab, die Koalition fast geschlossen: Bei SPD und Union gab es nur je zwei Stimmen zugunsten des Limits - und bei der SPD drei Enthaltungen, bei der Union zwei.
SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann machte einen Zwiespalt ihrer Partei klar. Tempo 130 bringe weniger Tote, weniger Schwerverletzte, weniger klimaschädliches Kohlendioxid (CO2), zählte sie als letzte Rednerin der Debatte auf. Es sei aber traurigerweise nicht gelungen, die Partner der Union zu einem Kurswechsel zu bringen. Wenn also der Großteil ihrer Fraktion dagegen stimme, dann nicht aus inhaltlichen Gründen, "sondern allein aus Vertragstreue zu dieser Koalition."
Redner von CDU, CSU, FDP und AfD wiesen ein Tempolimit dagegen vehement zurück. Der CDU-Abgeordnete Gero Storjohann verwies unter anderem auf eine dann nötige "Totalüberwachung unserer Autobahnen", um die Begrenzung zu kontrollieren. Auch Karl Holmeier (CSU) wandte sich gegen diese "ideologische Forderung".
FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic warnte vor einer Bevormundung der Bürger. Die Autobahnen seien die sichersten Straßen, das Problem beim Unfallrisiko seien die Landstraßen. Der AfD-Verkehrspolitiker Dirk Spaniel warf den Grünen eine "massive Kampagne gegen den Autofahrer" vor.
Einer aktuellen Umfrage zufolge ist mehr als die Hälfte der Deutschen für ein Limit auf Autobahnen. 56,5 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, wie eine YouGov-Online-Umfrage im Auftrag der Online-Autobörse mobile.de ergab. 16,8 Prozent lehnten dies ab.
Dabei gilt auf dem Großteil der Autobahnen nach wie vor freie Fahrt. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Schildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuelle Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2015 zeigen - am häufigsten sind Tempo 120 (7,8 Prozent) und Tempo 100 (5,6 Prozent). Unabhängig davon gilt seit mehr als 40 Jahren eine empfohlene "Richtgeschwindigkeit" von 130. Schaut man sich eine EU-Karte an, ist Deutschland ein "weißer Fleck", überall sonst gibt es nach einer ADAC-Übersicht Tempo-Beschränkungen.
Die Bundesregierung hatte einem Tempolimit kürzlich bereits eine Absage erteilt. Minister Scheuer hörte der Debatte zu und stimmte dagegen, griff aber nicht ein. SPD-Verkehrsexpertin Lühmann kündigte an, dass das Thema damit nun "garantiert" nicht abgeschlossen sei. Wenn im nächsten Jahr ein Verkehrssicherheitsprogramm zu beschließen sei, werde die SPD es wieder aufs Tapet heben. Sie monierte, dass von Ländern mit grünen Regierungen bisher kein Vorstoß im Bundesrat dazu komme, der eine Neuregelung aber beschließen müsste.
SPD-Vize Ralf Stegner, der sich auch um den Parteivorsitz bewirbt, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag): "Eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist gut für die Verkehrssicherheit und den Verkehrsfluss." Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierte, die Mehrheit der Abgeordneten habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt und verhalte sich wie in den 50er Jahren. Sie hätten Schritt zu einer sicheren und klimafreundlichen Mobilität verpasst. (dpa/ree)
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