Der erste Corona-Schock ist vorüber, etliche Werke sind wieder am Netz. Wie sich die wohl schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit aber insgesamt auf die Autobranche auswirken wird, ist nicht absehbar. Der Chef des Dax-Konzerns und weltweit zweitgrößten Zulieferers Continental glaubt: Es wird hart. Es gebe jedoch Chancen - wenn die Politik mithilft und auch Positives am Leben "post Corona" gesehen wird. Elmar Degenhart über die Lage der Schlüsselindustrie, die veränderte Auto- und Arbeitswelt, den Wettlauf mit der Konkurrenz aus China oder den USA und den schwierigen Umbau seines Unternehmens.
Herr Degenhart, Auto- und Maschinenbauer - Ihre wichtigsten Kunden - sind von den Corona-Folgen hart getroffen. Hat der Bund in seinem riesigen Konjunkturprogramm die richtigen Prioritäten gesetzt?
Dieses 130-Milliarden-Paket beinhaltet eine Vielzahl positiver Elemente für die Gesamtwirtschaft. Auf die Autoindustrie bezogen, wird die Absenkung der Mehrwertsteuer einen gewissen Effekt haben. Den Umweltbonus muss man jedoch differenzierter sehen: Auf der Seite reiner Elektrofahrzeuge ist momentan noch gar keine größere Produktionskapazität vorhanden. Auf der Hybridseite mag es sein, dass der Bonus zur Belebung führt. Aber man muss sich vergegenwärtigen, dass E- und Hybridautos in Deutschland einen Marktanteil von acht Prozent haben. Das zeigt, dass die Wirkung begrenzt bleiben wird.
Enthält der Kompromiss sonst keine guten Nachrichten für Sie?
Sehr zu begrüßen sind die Maßnahmen zur Ladeinfrastruktur. Allerdings muss, was die Förderung privater Ladestationen angeht, nachgebessert werden. Und sehr positiv sind die Fördermaßnahmen bei Forschung und Entwicklung. Aber auch diese sind eher mittelfristig ausgerichtet und werden kurzfristig keine Effekte erzielen.
Wie brenzlig ist die Lage der Autozulieferer-Branche wirklich?
Die bisherigen Zahlen in diesem Jahr sprechen für sich. Die Produktion bewegt sich in China und Amerika bei minus 25 Prozent, in Europa bei minus 40 Prozent. Die Erholung dürfte in Europa am langsamsten verlaufen, die Autoindustrie wird im zweiten Quartal Milliardenverluste schreiben. Für europäische und insbesondere deutsche Systemzulieferer verheißt das nichts Gutes. Das zweite Quartal wird wohl wirtschaftlich das schwierigste der Nachkriegszeit.
Hätten Ihnen Kaufzuschüsse für Benziner und Diesel geholfen?
Unsere Branche hat in Europa einen Herzstillstand erlitten. Ein solcher lässt sich nicht mit einer hohen Dosis Vitamin C beheben - es bedarf vielmehr eines Defibrillators. Der Impuls, den wir begrüßt hätten, wäre durch eine - nicht uferlose, aber kräftige - Förderung von Fahrzeugen mit modernen Verbrennungstechnologien möglich gewesen. Diese Chance wurde verpasst. Mit Unterstützung aus der Politik können wir hier kurzfristig nicht mehr rechnen.
Andere sagen, mit Verbrennern hätte man die Ökowende verpasst.
Ich kann mich dieser Argumentation nicht anschließen. Eine Menge Fahrzeuge mit modernsten Verbrennungsmotoren stehen bereits bei Herstellern und Händlern - und werden verkauft werden. Es sind Fahrzeuge, die die weltweit strengsten Abgasvorschriften erfüllen und sauberer sind als E-Autos, die mit Kohlestrom geladen werden. Jedes Fahrzeug, das ein altes ersetzt, trägt zum Klima- und Umweltschutz bei. Wir haben in Europa die sauberste Dieseltechnologie der Welt.
Der Branchenverband warnt vor einem Kahlschlag, sollte die Nachfrage nicht anspringen. Schwingt da auch etwas Untergangsstimmung mit?
Marktbeobachter gehen für 2020 von einer globalen Produktion unter 70 Millionen Fahrzeugen aus, das wäre ein Rückgang von über 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Ausmaß der Krise ist ungleich höher als das, was wir 2009 durchlebt haben. Das zeigen die Arbeitslosenzahlen in Amerika sowie die Kurzarbeit in Europa. Das zeigen die deutlichen Rückgänge im Bruttosozialprodukt sowie die Größe der Rettungspakete in China, Japan, Amerika und Europa.
Dazu kommt der Strukturwandel. Kann sich der Wirtschaftszweig der Autozulieferer in Deutschland durch die nächsten fünf Jahre retten?
Digitalisierung, assistiertes und automatisiertes Fahren, Elektrifizierung, Dienstleistungen - das allein ist schon ein gigantisches Paket und insbesondere für kleine und mittelständische Firmen schwierig zu bewältigen. Obendrauf kommt eine Marktkrise, die so seit 1930 nicht mehr da war und dazu führen wird, dass kleinere Unternehmen noch viel mehr unter Druck geraten. Wenn sich im Sommer keine deutliche Belebung des Marktes in Europa abzeichnet, befürchten wir trotz aller Stützungsmaßnahmen eine Reihe von Konkursen.
Was würde das für die Arbeitsplätze konkret bedeuten?
Viele Unternehmen haben im Vergleich zum gesunkenen Umsatz jetzt zu hohe Kosten. Bei einer nur langsamen Erholung können wir das mit Maßnahmen wie Kurzarbeit nicht aussitzen. Findet man effektive, intelligente Möglichkeiten, Kosten zu reduzieren und erforderliche Stellenstreichungen zu minimieren? Gelingt das nicht, würde das bedeuten, dass massiv Stellen wegfielen - in Deutschland und Europa sowie in Hochlohnländern rund um die Welt. Auch bei Continental ist eine Garantie für den Fortbestand mancher Jobs nicht mehr möglich. Es dürfte dazu kommen, dass wir über Kündigungen verhandeln müssen.
Nun tut die Politik in der akuten Krisenbekämpfung ja schon viel. Brauchen wir noch mehr Initiativen, um Corona zu überwinden?
Vor allem bei der Senkung der Energiekosten sehen wir dringenden Handlungsbedarf. Sie bleiben in Deutschland mit am höchsten. Aus unserer Sicht müsste das gesamte Konzept der Energiewende angepasst werden. Wir sind die einzige Industrienation, die sich zugleich aus Kern- und Kohleenergie verabschiedet - bei gleichzeitiger hoher Subventionierung der Erneuerbaren.
Wie gefährlich könnte die Lage gesellschaftspolitisch werden?
Wir müssen das ökonomische, ökologische und soziale Klima in Balance halten. Wenn den Unternehmen auf der ökologischen Seite mehr zugemutet wird, als der Markt bezahlt, können sie auf ökonomischer Seite nicht mehr genug für Innovationen tun. Und wenn die Industrie in die Notwendigkeit getrieben wird, Ausgaben zu reduzieren und Entlassungen vorzunehmen, leidet natürlich das soziale Klima.
Beim Ausbau der E-Mobilität wurde den Herstellern oft Zögerlichkeit vorgeworfen. Fehlt der Autoindustrie manchmal der nötige Mut?
Als Branche haben wir keinen Grund, uns zu verstecken. Ein Blick in die aktuelle Patentstatistik genügt. Die Frage ist: Werden die Mittel richtig investiert? In puncto Digitalisierung der Produkte und der Prozesse sind wir beispielsweise sehr gut aufgestellt.
Alle reden über Assistenzsysteme im Auto. Wie kommen Sie da voran?
Beim automatisierten und autonomen Fahren hat die Industrie die Komplexität unterschätzt. Auf mittleren bis höheren Automatisierungsstufen geht die ökonomische Rechnung für Pkw momentan noch nicht auf. Wir müssen uns also fokussieren auf vermarktbare Stufen wie das teilautomatisierte Fahren. Es gibt dabei ein gewisses Risiko, dass es Firmen aus dem Silicon Valley gelingt, Plattform-Lösungen für das autonome Fahren zu etablieren, an denen die Industrie später nicht mehr so leicht vorbeikommen wird.
Und bei Umwelttechnik, wo sich die Industrie immer so innovativ gibt?
Es geht um saubere Antriebe, aber auch um Klimaschutz entlang der gesamten Prozesskette der Produktion. Der Industrie wird vorgeworfen, dass sie nicht schnell genug ins Thema elektrifizierte Antriebe investiert hat. Doch diese gigantische Transformation, die den ganzen Fahrzeugaufbau betrifft, erfordert gravierende Veränderungen. Das kann man nicht alles in fünf oder zehn Jahren bewerkstelligen. Die Autoindustrie braucht vermutlich bis 2040, um zu 100 Prozent von Verbrennern auf alternative Antriebe umzustellen.
Warum sind Anbieter wie Tesla schneller?
Tesla ist ein schwieriger Vergleich. Das Unternehmen hat nicht dieselbe Produktbasis wie ein traditioneller Hersteller mit einem Volumen von fünf bis zehn Millionen Fahrzeugen pro Jahr, die transformiert werden müssen. Der Ansatz war der einer Neugründung auf der grünen Wiese und Nischenproduktion. Die Kernkompetenz, die Tesla so wertvoll macht, liegt weniger im Feld E-Mobilität - vielmehr bei Elektronik-Architekturen, deren Programmierung, drahtlosen Updates, den damit verbundenen Sicherheitsanforderungen und der Vernetzung des Autos mit der Cloud. Das fällt in den Bereich Digitalisierung.
Warum sind die neuen Systeme im Auto so schwierig zu entwickeln?
Für den ID.3 von Volkswagen liefern wir eines der zentralen Steuergeräte. Da ist die Aufgabe, knapp 70 Kontrolleinheiten mit dem Zentralsteuergerät kommunizieren zu lassen. Wir reden von 20 Millionen Zeilen Softwarecode und einem Komplexitätsgrad, der seinesgleichen sucht. Wir reden davon, dass wir 18 weitere Partner inklusive VW-Software in diesen Zentralcomputer integrieren. Wichtig ist, das Gelernte schnell in weitere Projekte zu übertragen.
Corona hat die Arbeitswelt stark verändert. Was heißt das für Conti?
Die Krise hat insgesamt einen unglaublichen Schub ausgelöst, was flexible Arbeitsmodelle angeht. Wir haben 2016 weltweit flexible Arbeitsbedingungen eingeführt. Davon profitieren wir jetzt. Doch der persönliche Kontakt im Büro darf nicht unterschätzt werden. Dass wir unsere Mitarbeiter ermutigen, ein, zwei, vielleicht drei Tage mobil oder von zu Hause zu arbeiten - klare Sache. Viele sagen, dass sie im Homeoffice produktiver sind. Einige empfinden es als anstrengender.
Zur Person: Elmar Degenhart (61) ist seit August 2009 Vorstandschef von Continental, des nach Bosch zweitgrößten Autozulieferers der Welt. Der promovierte Ingenieur kam über Stationen bei Industrie- und Autozulieferern erst zum Conti-Hauptaktionär Schaeffler, ehe er zu dem Dax-Konzern wechselte. Hier muss Degenhart den schwierigen Umbau vom Mechanik- zum Elektronik- und Software-Unternehmen steuern. (dpa/swi)
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