Der Eifelturm in Paris, das Atomium in Brüssel, sogar der Pavillon der Hoffnung ("Expowal") in Hannover – Weltausstellungen haben in den letzten Jahrzehnten viele Sehenswürdigkeiten hervorgebracht. Allerdings sind die alle stationär. Wer sie bestaunen will, der muss schon selbst auf Reisen gehen. Das war 1967 in Montreal ein bisschen anders. Denn zu den Stars der Show zählte auch die Studie eines Sportwagens, den die Messe-Macher bei Alfa Romeo in Auftrag gegeben hatten, um das Auto als industrielles Produktionsgut zu inszenieren.
50 Jahre Alfa Montreal
Die Italiener ließen sich nicht zweimal bitten, beauftragten die Designschmiede Bertone mit der Umsetzung und schickten zwei Coupés nach Kanada. Die schindeten mächtig Eindruck: So zwischen Spiegeln platziert, dass sie bis ins Unendliche vervielfacht wirkten, wurden die Alfas zum großen Anziehungspunkt für die rund 500.000 Besucher am Tag.
"Und mit jedem Tag der sechsmonatigen Ausstellung erhält Alfa Romeo mehr Anfragen aus Nordamerika und dem Rest der Welt, den Expo-Blickfänger auch zur Serienreife weiterzuentwickeln", berichtet Alfa-Sprecherin Anne Wollek.
Drei Jahre später war es so weit: Der Sportwagen feierte im März 1970 Premiere auf dem Genfer Salon – unter einem Namen, für den es diesmal ausnahmsweise keine große Kreativleistung und keine Agentur braucht: Bühne frei und Vorhang auf für den Alfa Montreal.
Zwar war seine Karriere weder einfach noch sonderlich lang, sagt Alfa-Romeo-Experte Hartmut Stöppel aus Bonn. Doch vielleicht gerade deshalb hat es der Montreal zur Legende gebracht und ist auch 50 Jahre später für Alfisti ein Traum: "Es gibt viele berühmte Alfas, manche sind sportlicher als der Montreal, manche exklusiver und viele waren kommerziell erfolgreicher", sagt Stöppel. "Doch als eines der coolsten Coupés aus den 1970ern hat der Montreal einen Ehrenplatz in dieser exklusiven Familie sicher."
Gezeichnet hat den Montreal Marcello Gandini. Der war damals 30 Jahre alt und stand noch am Beginn einer imposanten Karriere, in der er zum Beispiel noch den Lancia Stratos, den Fiat 132 und den Lamborghini Countach zeichnen sollte. Doch hatte sich der Designer bereits mit dem Lamborghini Miura einen Namen gemacht.
Auf einer Bodengruppe der Mittelklasse-Limousine Giulia entwarf er ein kantig-cooles Coupé von 4,22 Metern, das aus jeder Perspektive einzigartig wirkte und spätestens auf den zweiten Blick unverwechselbar war. Die Lamellen vor den Scheinwerfern, die Lüftungsgitter hinter den Türen, die Hutze in der Motorhaube: Das hatte es so vorher noch nie gegeben – und danach auch nicht wieder.
Entsprechend behutsam entwickelten die Ingenieure das Konzept auf dem Weg in die Serie weiter. Zwar wird dem Wagen immer wieder ein Mittelmotor nachgesagt, doch blieb es aus Kostengründen beim Frontmotor-Konzept der Giulia. Die Kiemen an der Flanke überlebten als reines Styling-Detail. Und obwohl es reichlich Kampf mit den Zulassungsbehörden gab, haben selbst die Schlafzimmer-Augen des Coupés überlebt – nur dass jetzt eine Hydraulik die Jalousien öffnet, wenn der Fahrer das Licht anschaltet.
Beim Motor dagegen gingen die Entwickler aufs Ganze, zitiert Wollek aus der Chronik und berichtet von einer Organspende aus dem Rennsport: Der V8-Motor des Typo 33 sollte dem Montreal Beine machen. "Allerdings haben die Italiener das wilde Triebwerk ein wenig domestiziert", räumt Alfa-Kenner Stöppel ein. Schließlich sollte der Montreal ein Gran Turismo für flotte Genießer werden und kein Rennwagen für hektische Raser.
Der Hubraum wurde deshalb von 2,0 auf 2,6 Liter vergrößert, die Leistung im Gegenzug gedrosselt: Statt 191 kW/260 PS standen nun 147 kW/200 PS im Datenblatt. Doch auch das reichte für respektable Fahrleistungen: Mit 7,6 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h und einem Spitzentempo von 219 km/h behauptete der King of Cool auch auf der linken Spur seinen Anspruch und fuhr in einer Liga mit Konkurrenten wie dem Lamborghini Espada, dem Porsche 911 und dem BMW 3.0 CSi.
Das galt allerdings auch für den Preis, der zur Markteinführung Anfang 1971 bei 5,2 Millionen Lira oder 35.000 D-Mark lag. Ein Porsche 911 S war da 7000 D-Mark billiger, sagt Stöppel.
Die Freude am Fahren feiert in dem Coupé auch ein halbes Jahrhundert später noch fröhliche Urständ: Zwar muss man sich erst einmal an die ungewöhnliche Auslegung des Getriebes gewöhnen, bei dem der erste Gang unten links liegt. Das ist ein weiterer Gruß aus dem Motorsport, weil man ihn im Rennen so selten braucht.
Die Lenkung erfordert gut trainierte Arme. Allzu scharfe Kurven quittiert der Alfa trotz des Sperrdifferentials an der angetriebenen Hinterachse mit Tanzeinlagen der feurigen Sorte und das Fahrwerk mit seiner Starrachse im Heck erweist sich auf schlechten Pisten schnell als verstimmt.
Doch wer reisen will statt zu rasen, der wird im Montreal zum Genießer – und kommt trotzdem flott ans Ziel. Dabei ist eine Ausfahrt mit dem Alfa ein Erlebnis für alle Sinne. Denn nicht nur die Augen gehen einem über bei der Karosserie und dem spektakulären Cockpit. Sondern mit leidenschaftlichem Sound und gehörigem Schalldruck gibt's auch was auf die Ohren.
In diesen Genuss kommen allerdings nur wenige, muss Alfa-Kenner Stöppel einräumen. Denn die Italiener haben nicht nur lange drei Jahre bis zum Debüt des Serienmodells und dann noch einmal über neun Monate bis zur ersten Auslieferung Anfang 1971 gebraucht. Sondern auch die Produktion selbst geriet immer wieder ins Stocken.
Weil Italien Anfang der 1970er von Turbulenzen gebeutelt war, es für die strauchelnde Staatsfirma Alfa wirtschaftlich wichtigere Modelle gab und die Ölkrise auch nicht gerade ein fruchtbarer Nährboden für Sportwagen war, wurde die zu Bertone ausgelagerte Auftragsfertigung immer mal wieder zurückgestellt und ausgesetzt. Als der Montreal 1977 endgültig ausläuft, steht der Zähler am Ende deshalb bei nur 3925 Exemplaren.
"Allerdings ist der Montreal ein eher untypischer Alfa", sagt Stöppel und macht Fans und Fahrern gleichermaßen Hoffnung: "Im Gegensatz zu vielen anderen Modellen aus Mailand ist er vergleichsweise haltbar und zuverlässig: Deshalb sind auch noch rund ein Viertel aller Autos bis heute auf der Straße."
Trotzdem ist der Montreal kein billiges Vergnügen, muss der Kenner einschränken: Nachdem die Preise jahrelang bei 30.000 bis 40.000 Euro herumdümpelten, sind sie durch ein Bietergefecht bei einer US-Aktion in die Höhe geschossen: "Nachdem sich dort mal zwei Fans auf bis zu 130.000 Dollar hochgeschaukelt haben, werden jetzt auch bei uns bisweilen sechsstellige Beträge fällig", taxiert er den Markt. Aber immerhin gibt es noch Fahrzeuge zu kaufen: Auf den üblichen Portalen im Netz findet man ein Dutzend Autos.
Zwar weiß Stöppel so ziemlich alles über den Alfa, kennt jede Schraube und die Biografie der meisten Autos, die aktuell gehandelt werden. Doch eine Frage kann selbst der Experte nicht beantworten: Wie viele Montreal in Kanada verkauft wurden.
Die beiden Exemplare aus Montreal jedenfalls haben den Kontinent längst wieder verlassen: Während der Eifelturm noch immer in Paris steht, das Atomium in Brüssel und der Pavillon der Hoffnung in Hannover, parken sie mittlerweile im Werksmuseum "La Macchina del Tempo" in Arese bei Mailand. (Von Thomas Geiger, dpa/fuh)
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